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Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Madsack
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ist«, erwiderte er vage.
    Der Pater räusperte sich, und seine nächsten Worte bestätigten Stanislaws Vermutung. »Nun ja, sie sorgt sich natürlich sehr um ihre Tochter. Obwohl ich ihr versichert habe, dass sie bei Ihnen gut aufgehoben ist.«
    »Glauben Sie das wirklich?«
    »Ja, das glaube ich. Und nun erzählen Sie mir bitte, was ich wissen muss, damit ich das guten Gewissens an Clarice weitergeben kann.«
    Stanislaw berichtete von der Autofahrt nach Brasov, von der Altstadt, von ihrem Hotel, bis Don Basilio ihn unterbrach: »Graf Stanislaw, das klingt wie die Beschreibung aus einem Tourismus-Magazin.«
    »Das ist ja eben das Problem«, murmelte Stanislaw. »Bisher habe ich nur einmal gefunden, wonach ich suche, und das war der Moment, als sich nach zweistündiger Fahrt über flaches Land in der Ferne die Ausläufer der Karpatenberge erhoben. Es war schon fast dunkel, aber ich habe jede Einzelheit erkannt, ich konnte die verblichenen Rottöne der Laubbäume von der bräunlichen Färbung der Nadelbäume unterscheiden, ich fuhr auf die Wälder zu, deren Umrisse sich wie ewige Monumente vor dem Abendhimmel abzeichneten, und ich wusste, ich war zu Hause.«
    Der Pater schwieg, bis Stanislaw fortfuhr: »Dann sind wir hierhergefahren, nach Brasov, in eine Stadt, die mit den Außenbezirken jetzt an die dreihunderttausend Einwohner hat. Der Kern der Altstadt wurde sehr sorgfältig restauriert, aber natürlich kam ich in eine Welt, die ich nicht wiedererkenne. Überall aufgeputzte Fassaden der alten Häuser, auf dem Marktplatz hat man einen scheußlichen modernen Brunnen mit Intervall-Fontänen errichtet, und in den Gassen reihen sich die ›Burger Kings‹ an italienische Pizzerien.«
    »Was haben Sie denn erwartet?«, warf der Pater ein, doch Stanislaw war jetzt nicht mehr zu bremsen.
    »Hier passt nichts mehr zusammen. Das Überrestaurierte der historischen Substanz, mit dem man Touristen anzulocken versucht, und der Verlust der wahren Traditionen, der überall spürbar ist, das stimmt alles nicht. Am liebsten würde ich sofort wieder abreisen, aber ich wüsste nicht, wie ich das Joanna erklären sollte.«
    »Damit haben Sie recht. Ihnen steht allerdings noch Schlimmeres bevor, oder werden Sie auf einen Besuch in Bran verzichten?«
    »Sie meinen das sogenannte Dracula-Schloss? Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht, Pater. Im Zeitalter des Internet ist das ja kein Problem mehr.«
    »Nein, Graf Stanislaw«, erwiderte Don Basilio in mildem Ton, »dafür brauchte ich das Internet nicht. Ich war vor drei Jahren selbst dort, mit einer Studiengruppe meines Ordens.«
    »Das wusste ich nicht«, sagte Stanislaw vorwurfsvoll, »aber ich hätte es mir denken können, ihr Jesuiten seid überall.«
    »Sie müssen nicht so ironisch tun, Graf Stanislaw, Sie wissen genau, dass es echte Schauplätze mit überprüfbaren historischen Wurzeln gibt und leider auch so etwas wie die Törzburg in Bran, die bezüglich des Dracula-Mythos auf reinem Schwindel beruht. Leider musste dieses Gemäuer immer dafür herhalten, der Stammsitz der transsylvanischen Vampire zu sein, dabei ist es lediglich eine sehr gut erhaltene Sehenswürdigkeit. Aber es hat viel von dem Zauber eines Vampirschlosses, so wie sich die Menschen das eben vorstellen möchten.«
    »Darf ich Sie daran erinnern, dass ich die Törzburg kenne?«, knurrte Stanislaw. »Oder wollen Sie mir jetzt ernsthaft die Gegend erklären, in der ich aufgewachsen bin?«
    »Ich kann verstehen, weshalb Sie so gereizt sind. Sie hingegen sollten verstehen, dass ich Ihnen nur helfen will. Schließlich ist Ihr letzter Kontakt mit Ihrer Heimat ungefähr dreihundertfünfzig Jahre her.«
    Stanislaw zögerte. »Sie haben recht«, sagte er dann.
    »Danke. Was ist jetzt mit Schloss Bran? Vielleicht ist es besser, wenn Sie und Joanna nicht dort hinfahren. Was Sie erwartet, ist ein Horror ganz anderer Art. Nun ja«, die Stimme des Paters klang sanft, »ich wollte Sie nur darauf vorbereiten.«
    »Ich weiß das zu schätzen, Don Basilio, verzeihen Sie.«
    »Geben Sie dem Vorhaben, Joanna Ihre Heimat zu zeigen, eine Chance und lassen Sie sich nicht gleich entmutigen. Sie wussten, welches Wagnis Sie eingingen.«
    Ja, er hatte es gewusst. Und ertappte sich dabei, dass er fürchtete, sich vor Joanna schämen zu müssen, für sein Land und für das, was daraus geworden war. Ein unsinniger Gedanke, sagte er sich sofort, schließlich war er für die Veränderungen nicht verantwortlich.
    Er hatte nach einem möglichst

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