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Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Madsack
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einer elektronischen Sound-Anlage durch die Hotelhalle. Ein paar Gestalten begannen sich zuckend im Rhythmus der Töne zu bewegen, andere hingen schlaff in den Ledersesseln.
    »Was geht denn hier vor?«, fragte Stanislaw die junge Frau an der Rezeption.
    »Es tut mir leid«, sagte sie, »wir beherbergen hier seit gestern eine Filmcrew, und Sie wissen ja, wie diese Leute sind.«
    »In jedem Fall sind sie ziemlich laut.«
    »Nun ja«, die junge Rumänin errötete leicht, »einer von ihnen hat Geburtstag, das wollen sie feiern.«
    Aus einem Nebenraum erschien ein älterer Mann in einem dunklen Anzug. »Ich bin der Direktor«, sagte er, »gibt es ein Problem?«
    In diesem Moment eilte eine gedrungene Gestalt auf die kleine Gruppe zu, unverkennbar ein Rumäne. Schwitzend und gestikulierend sagte der Mann: »Es tut mir leid, dass wir Ihnen diese Unannehmlichkeiten bereiten, aber ich werde gleich für Ruhe sorgen. Gestatten Sie: Radu Nicolescu, ich bin der Regisseur und Mitproduzent des Films, den wir hier drehen.«
    Er streckte die Hand aus, und da Stanislaw nicht reagierte, erbarmte sich Joanna, die ihrem Vater einen vorwurfsvollen Blick zuwarf.
    »Vielen Dank, Herr Nicolescu«, sagte sie lächelnd und ergriff die dargebotene Hand, »es ist sehr freundlich, dass Sie sich herbemüht haben.«
    »Entschuldigen Sie mich einen Moment«, bat der Rumäne und trat zu dem jungen Mann an der Sound-Maschine. Er sagte ein paar Worte zu ihm, worauf der Bursche an den Reglern hantierte und die Lautstärke herunterfuhr.
    Erleichtert verzog sich der Hoteldirektor wieder in sein Büro, während der rumänische Filmemacher zu Stanislaw und Joanna zurückkehrte. Er betrachtete sie aufmerksam. »Sie haben ein sehr einprägsames Gesicht«, sagte er, »die Filmkamera würde Sie lieben. Wären Sie interessiert?«
    »Nein«, unterbrach Joanna ihn und lächelte erneut, »das ist nichts für mich. Aber sagen Sie, was für einen Film drehen Sie hier?«
    Ein Schatten huschte über seine Züge. »Sie werden mich wahrscheinlich auslachen …«
    »Bestimmt nicht«, versicherte sie.
    »Also, es ist ein Vampirfilm.«
    Joanna wechselte einen raschen Blick mit Stanislaw, der sein Grinsen kaum verbarg. Und zu Radu Nicolescu gewandt: »Weshalb soll das ein Grund sein, Sie auszulachen?«
    Der Regisseur blickte sich in der gespenstischen Halle um, als lauerten hinter jeder Säule geheime Lauscher, dann murmelte er: »Nun ja, ein rumänisches Team dreht in Rumänien einen Vampirfilm, das wirkt auf den ersten Blick ziemlich seltsam, oder? Ich meine, mehr Klischees können wohl kaum zusammenkommen.«
    »Das liegt ganz im Auge des Betrachters«, widersprach Joanna, »man kann es auch als eine ideale Konstellation sehen, bei der die Voraussetzungen nicht besser sein könnten, finde ich!«
    »Nett, wie Sie das sagen«, erwiderte Radu Nicolescu und strahlte sie an.
    Stanislaw, der die Unterhaltung bisher stumm verfolgt hatte, schaltete sich ein: »Was hat Sie bewogen, diesen Film zu machen?« Er schien an der Antwort ernsthaft interessiert.
    Bei Nicolescu hatte seine Frage eine Schleuse geöffnet. »Das will ich Ihnen gern erklären, Herr …«
    »Ich bin Graf Stanislaw von Lugosy, und diese junge Dame ist meine Tochter Joanna.«
    »Sehr erfreut, Graf.« Der Rumäne verneigte sich. »Es gibt zwei Gründe, weshalb ich diesen Film drehen wollte«, hob er an, dann unterbrach er sich. »Was stehen wir hier so herum, wollen wir uns nicht einen Moment setzen?« Er deutete auf eine frei gewordene Sitzgruppe. Der Saal hatte sich unterdessen weitgehend geleert, und es war angenehm still geworden. Die Filmleute wollten offenbar an einem anderen Ort weiterfeiern.
    Zu Joannas Erstaunen kam Stanislaw der Einladung nach. Nicolescu fragte, ob er ihnen eine Erfrischung anbieten dürfe, und Stanislaw wünschte Rotwein. »Aus Transsylvanien«, fügte er hinzu.
    Während sie auf die Getränke warteten, setzte der Regisseur seine Erzählung fort. »Einer der Gründe ist, dass es hier gleichsam einen Film im Film gibt. Eine ausländische Produktionsfirma reist nach Rumänien, um einen Vampirfilm zu drehen, und dann kommt ihnen der Hauptdarsteller abhanden. Er wird von einem veritablen Vampirfürsten entführt, der in ihm quasi sein Ebenbild erblickt und mit ihm eine neue Dynastie von Vampiren gründen will. Aber«, er hielt sich die Hand vor den Mund, »jetzt erzähle ich Ihnen schon zu viel. Schließlich sollen Sie den Film ja später im Kino sehen!«
    »Das klingt vielversprechend«,

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