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Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Madsack
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Handbewegung, und sie setzten sich.
    »Lasst uns Rotwein bestellen«, sagte Ewa gebieterisch, »das Blut unserer Heimat.«
    Stanislaw lächelte, er wirkte versonnen und so entspannt wie schon lange nicht mehr. Joanna hingegen konnte noch immer nicht den Blick von Ewa wenden, deren grobe Gesichtszüge sie keineswegs darüber täuschten, welche Klugheit und welcher Scharfsinn sich dahinter verbargen. Abgesehen davon, dass sie eine Hexe war, wie Stanislaw behauptet hatte.
    Der Wein wurde serviert. »Worauf wollen wir anstoßen?«, fragte Ewa.
    »Auf unser Wiedersehen?«, schlug Stanislaw vor.
    »Auf unsere erste Begegnung?« Ewa sah Joanna an, die ihr Glas hob. Die Flüssigkeit darin funkelte in einer Farbe, die an sehr helle Rubine erinnerte.
    »Auf unsere Heimat«, sagte Joanna.
    Schweigend stießen sie an und tranken einen Schluck. Joanna bemerkte, dass Ewa den Blick nicht von ihr wenden konnte.
    »Dass ich das noch erlebe«, sagte die Rumänin, »Stanislaw hat eine Tochter! Erzähl mir von deiner Mutter, Kind, wie ist sie?«
    Joanna sah ihren Vater an, der zustimmend nickte.
    »Sie heißt Clarice, und sie stammt aus England, dort haben sich die beiden kennengelernt.«
    »Es war in einer regnerischen Nacht, der Sturm heulte, die beiden saßen vor dem Kaminfeuer, und Stanislaw wusste, dass er demnächst über sie herfallen würde. Doch dann, als sie beieinanderlagen, spürte er etwas und …«
    »Schweig, Ewa«, sagte er streng.
    Unbeeindruckt von seiner Ermahnung, zuckte sie die Schultern. »War es nicht so, Stanislaw?«
    »Du bist ein teuflisches Weib, vor dem sich sogar jemand wie ich in Acht nehmen muss. Ja, es war so.«
    Mit offenem Mund starrte Joanna zuerst Stanislaw, dann Ewa an. »Wie können Sie das alles wissen? Sie waren doch nicht dabei.«
    Ewa tätschelte ihren Handrücken, worauf sie kaum merklich zurückzuckte. »Für eine junge Frau mit deinen Fähigkeiten stellst du erstaunlich törichte Fragen.«
    Joanna schluckte trocken und senkte den Kopf. »Sie haben recht, das war dumm von mir.«
    »Schon gut.« Ewa setzte ihr Weinglas an die Lippen und leerte es auf einen Zug. Sie seufzte wohlig und gab dem Barmann ein Zeichen. »Nachschenken, bitte!«
    Stanislaw hatte den kurzen Wortwechsel mit einer Miene verfolgt, in der Joanna leise Belustigung zu lesen glaubte. Oder war es etwas ganz anderes? Empfand er womöglich Verlegenheit oder sogar Scham, Regungen, die er mit dem Anschein ironischer Distanz überspielen wollte?
    Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, zog Ewa eine goldene Puderdose hervor und betupfte sich mit der Quaste die knollenförmige Nase. Danach zückte sie einen Lippenstift und verteilte die dunkelrote Farbe großzügig auf Ober- und Unterlippe. Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel, dann ließ sie die Schminkutensilien in ihre Handtasche sinken, ein überdimensionales Modell aus schwarzem Lackleder mit dem Logo eines bekannten italienischen Designers.
    »Merk dir das, Kind, was immer man tut, man muss dabei gut aussehen!« Und nach kurzer Pause: »Starr mich nicht so an, von mir kannst du noch vieles lernen.«
    Stanislaw gab einen Laut von sich, der sich wie ein Husten anhörte.
    »Tu nicht so, Stanislaw, du weißt, was ich meine.« Ewa beugte sich vor, und beide, Stanislaw wie Joanna, rückten ebenfalls näher.
    »Jetzt erzählt mir erst mal, was der eigentliche Grund eurer Reise ist.« Ihre Stimme klang eindringlich: »Ihr seid doch auf der Flucht! Was ist passiert?«
    Stanislaw seufzte. »Es gab Probleme in Marbella«, murmelte er.
    »Wegen Joanna?«
    »Ja«, erwiderte er langsam, »auch wegen Joanna. Ein russischer Vampir namens Kyrill hat versucht, sie in seine Gewalt zu bringen …«
    »Und du hattest dich in eine Sterbliche verliebt«, warf Joanna ein und sah ihren Vater an.
    Ewa sog hörbar die Luft ein. »Schönes Chaos! Und weiter?«
    »Und dann hat er diese Frau auch noch von seinem Blut trinken lassen, um ihr Leben zu retten, nachdem Kyrill sie attackiert hatte.«
    Ewa trank einen riesigen Schluck. «Du bist also in den Augen der anderen Vampire zum Verräter geworden. Und welche Rolle hat Kyrill gespielt?«
    «Er wollte Joanna um jeden Preis besitzen, er entwickelte geradezu eine Obsession für sie. Ich habe versucht, sie zu beschützen, aber er hat sie in eine Falle gelockt. Das hat er auch mit mir versucht, und plötzlich standen Joanna und ich an einem sehr abgelegenen Ort mitten in der Wildnis vor einem Tribunal der dortigen Vampirgemeinschaft, die Kyrill

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