Hymne an Die Nacht
sagte Joanna, »und was ist der zweite Grund, von dem Sie sprachen?«
»Na, mein Hauptdarsteller natürlich! Es ist zwar manchmal nicht ganz einfach mit ihm«, die Züge des Regisseurs verdüsterten sich vorübergehend, »aber er ist der Beste, was sage ich, der Einzige, mit dem ich eine solche Rolle besetzen konnte. Er ist der Superstar des heutigen rumänischen Films, Vadim Lupescu heißt er, obwohl er von den Medien und von seinen Anhängern meist nur Vadim genannt wird. Vielleicht haben Sie von ihm gehört?«
»Ich habe ihn neulich im Hotel in einer Fernsehsendung erlebt«, sagte Joanna, »und auf der Fahrt von Bukarest hierher sah ich Plakate, auf denen für Ihren neuen Film geworben wird.«
»Vorher kannten Sie ihn nicht?« Der Regisseur wirkte enttäuscht.
»Ehrlich gesagt, nein, ich habe mich bisher kaum für Film interessiert.«
»Aber das könnte sich in Zukunft ändern, nicht wahr?« Der Rumäne lächelte treuherzig, während ein Kellner den Wein servierte. Nicolescu verkostete ihn, und die Gläser wurden gefüllt. Stanislaw zog ein Medizinfläschchen mit rötlich schimmerndem Inhalt hervor. »Mein Medikament, das ich jeden Tag nehmen muss«, erklärte er mit todernster Miene, »sonst könnte ich nicht überleben.«
Er träufelte ein paar gut bemessene Tropfen in sein Weinglas. »Es verträgt sich auch mit Wein«, sagte er und lächelte erstmals, »erst in dieser Verbindung entfaltet sich die wohltuende und kräftige Wirkung von beidem. Zum Wohl!«
Radu, der dieses Geschehen mit glänzenden Augen verfolgt hatte, stieß mit seinen Gästen an. »Das bringt mich auf eine Idee«, rief er begeistert, »darf ich das für eine Szene verwenden?«
Stanislaw und Joanna sahen sich an. Bevor sie losprusten konnte, erwiderte er rasch: »Wenn Ihnen das so gut gefällt, habe ich nichts dagegen. Ich verstehe nur noch nicht so richtig, worum es Ihnen dabei geht.«
»Aber das ist doch ganz klar«, ereiferte sich der Rumäne, »das kann ich sehr wirkungsvoll in meinen Film einbauen. Der Vampir in meinem Film, den echten meine ich, stärkt sich mit einem Getränk, das einerseits aus dem Rotwein der Karpaten besteht, andererseits mit Blut angereichert wird. Blut und Wein, ein geradezu biblisches Thema, wunderbar. Danke, Graf, Sie haben mich da auf einen genialen Einfall gebracht.«
»Wenn Sie meinen«, murmelte Stanislaw. Er sah Joanna an, die jetzt sehr still neben ihm saß. »Ich glaube, wir sollten schlafen gehen.«
»Natürlich, es ist spät geworden. Aber ich freue mich so sehr über unsere Begegnung, dass ich Sie einladen möchte, uns am Set zu besuchen. Die Dreharbeiten sind zwar fast abgeschlossen, aber uns fehlen noch ein paar Szenen, die wir hier drehen werden.«
Diesmal wartete Joanna nicht, bis Stanislaw Einverständnis signalisierte. »Nur zu gern«, erwiderte sie rasch. »Wann und wo?«
»Morgen um die Mittagszeit in Schloss Bran. Kennen Sie den Ort, waren Sie schon in der sogenannten Dracula-Burg?«
»Ich kenne Schloss Bran«, antwortete Stanislaw gedehnt, »aber das ist lange her. Und meine Tochter war noch nie dort. Es ist einer der Orte, den ich ihr zeigen wollte.«
Nicolescu sah zwischen ihnen hin und her. »Ich will nicht indiskret sein, aber darf ich fragen, was Sie beide in diese eher entlegene Gegend geführt hat?«
Eine unbehagliche Pause entstand. Joanna rettete die Situation, indem sie erwiderte: »Die Vorfahren meines Vaters waren Ungarn aus Siebenbürgen. Ich selbst wollte dieses Land endlich kennenlernen, über das ich so viel gehört hatte.«
»Ich verstehe. Nur haben Sie sich für Ihren Besuch keine gute Jahreszeit ausgesucht. Es wird jetzt immer kälter, und bald könnte es anfangen zu schneien. Auch aus dem Grund wollen wir die Dreharbeiten möglichst morgen beenden. Sie glauben nicht«, sagte der Rumäne, zu Joanna gewandt, »wie klamm und unangenehm es in diesen alten Burgen sein kann.«
Sie nickte und warf rasch ein: »Wir konnten leider keinen anderen Termin finden, mein Vater hat seine Verpflichtungen.«
Der Rumäne redete weiter: »Beim Drehen eines Vampirfilms hat diese Jahreszeit allerdings ihre Reize, und für morgen Vormittag hoffen wir auf effektvolle Nebelschwaden, die wir sonst künstlich erzeugen müssten.«
Er trank einen Schluck Wein. »Wir fangen gegen zehn Uhr an und wollen am frühen Nachmittag fertig sein. Ich gebe meiner Assistentin Bescheid, dass Sie uns als Gäste besuchen, falls Sie mich nicht gleich finden. Sie heißt Maria. Bitte ziehen Sie feste
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