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Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Madsack
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zusammengerufen hatte. Es sollte über mich gerichtet werden.«
    »Und was geschah dann?« fragte Ewa atemlos und griff erneut zu ihrem Glas.
    »Stanislaw hat ein flammendes Plädoyer für die Liebe gehalten. So etwas hatte es in der Geschichte der Vampire wohl noch nie gegeben, sie waren sprachlos. Als ihr Anführer fragte, wer etwas zu Stanislaws Verteidigung vorbringen könne, betrat ich die Szenerie«, erzählte Joanna weiter.
    »Was hast du gemacht, Mädchen?«, fragte Ewa neugierig.
    Stanislaw lächelte. »Nach einer eindrücklichen Demonstration ihrer besonderen Kräfte hat sie Kyrill schachmatt gesetzt und sich zuletzt als meine Tochter zu erkennen gegeben. Das war mehr, als sie verkraften konnten, und sie zogen wieder ab, während Kyrill gedemütigt zurückblieb.«
    »Und was ist aus deiner Liebsten geworden?«, wandte sich Ewa an Stanislaw.
    »Daphne ist zurück in Zürich und kümmert sich wieder um ihre Karriere als Musikerin.«
    Eine kurze Pause entstand, bis Joanna sagte: »Würden Sie mir denn auch etwas über sich erzählen, Ewa?«
    »Ich bin ein sterblicher Mensch mit den Fähigkeiten einer Hexe, und hier in Rumänien gilt das als Berufsstand, den unsere Politiker jetzt besteuern wollen.« Ein grimmiges Schnauben folgte. »Ich kann Krankheiten erzeugen und heilen, ich kann Liebespaare entzweien und zusammenbringen, ich kann Existenzen ruinieren oder ihnen zu blühendem Wohlstand verhelfen.«
    »Wofür entscheiden Sie sich dann?« Joannas Stimme klang sehr sanft.
    »Das hängt ganz vom jeweiligen Fall ab. Manchmal ist es besser, wenn jemand scheitert oder sogar untergeht, in anderen Situationen wird erst durch mein Intervenieren etwas möglich, das sonst wohl nie zustande gekommen wäre, etwas, das es wert ist.«
    Stanislaw lehnte sich zurück. Joanna sah ihm an, dass er beschlossen hatte, vorerst den beiden Frauen das Feld zu überlassen. »Sie haben sehr viel Macht«, sagte sie langsam und verstummte. Mit jedem weiteren Wort würde sie nur ihre Naivität verraten. Bis ihre Neugier stärker wurde als ihre Furcht, sich zu blamieren, und sie es nochmals versuchte: »Sind Sie sich Ihrer Entscheidung immer ganz sicher, oder gibt es auch Situationen, in denen Sie zweifeln?«
    »Ich verstehe ja, Kind, dass du gern etwas Verbindliches von mir hören würdest, aber darauf werde ich dir jetzt keine Antwort geben. Du kannst Türen öffnen und Gegenstände bewegen, du kannst dich telepathisch in die Gedanken anderer Menschen einklinken, und du kannst auch zerstörerische Energie entwickeln, wenn du von einer Mission beseelt bist. An alldem ist nichts falsch. Nur hat das alles nicht das Geringste mit dem Leben da draußen zu tun«, sie machte eine vage Kopfbewegung zum Fenster hin, »von dem du bis jetzt kaum etwas weißt. Und jetzt zeig mir deine Hände«, sagte Ewa in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
    Nach einem raschen Blick auf Stanislaw folgte Joanna der Aufforderung. Er hatte nicht protestiert und wirkte äußerlich gelassen.
    Ewa nahm ihre Hände und drehte die Innenflächen nach oben. Kräftige Finger strichen über das Netz kaum wahrnehmbarer Vertiefungen und verharrten schließlich bei den Linien, die jede Hand so unverwechselbar machten.
    Noch immer über Joannas Handinnenflächen gebeugt, murmelte Ewa: »Wie lange wollt ihr in Transsylvanien bleiben?«
    »Warum fragst du?« Stanislaw klang irritiert.
    »Ich denke, es ist ratsam, wenn ihr euren Aufenthalt nicht zu sehr in die Länge zieht.«
    »Wir haben vor, zwei oder drei Wochen hier zu verbringen«, erwiderte Joanna an seiner Stelle. »Danach möchte ich mein Medizinstudium in Madrid beginnen.«
    Ewa sah von Stanislaw zu Joanna, ihre Gesichtszüge hatten sich verschlossen. »Man kann sich dem Schicksal nicht in den Weg stellen«, murmelte sie, »aber man kann immer versuchen, das Richtige zu tun.« Sie nahm ihre Tasche und erhob sich schwerfällig. »Stanislaw hat meine Mobilnummer«, sagte sie und drückte Joanna, die ebenfalls aufgestanden war, fest an sich. »Für den Fall, dass du mich brauchst. Aber wir werden uns ohnehin bald wiedersehen.«
    Kaum dass Ewa außer Hörweite war, atmete Stanislaw aus: »Was für eine anstrengende Person!«
    »Ihr seid doch alte Gefährten«, protestierte Joanna, »fast so etwas wie Kumpane.«
    Er ging auf ihre Bemerkung nicht ein. Igor warte auf ihn im Zimmer, sagte er kurz angebunden. Er bezahlte die Rechnung, und Joanna folgte ihm in die Hotelhalle.
    In diesem Moment wummerten dröhnende Bässe aus

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