Hymne an Die Nacht
Schuhe an, der Aufstieg zur Burg ist etwas mühsam. Und wappnen Sie sich gegen die feuchte Kälte.«
Radu Nicolescu erhob sich aus seinem Sessel, Joanna und Stanislaw waren ebenfalls aufgestanden. »Ich freue mich auf Ihren Besuch. Gute Nacht und bis morgen.«
Sie bedankten sich und sahen ihm nach, bis er im Lift verschwunden war.
»Du möchtest also wirklich morgen dorthin?«
»Ja. Mich interessiert, wie es an einem Filmset zugeht, und mich interessiert der Ort mit dieser Burg. Kommst du mit?«
Er nickte bedächtig. »Wenn wir nicht vor zwölf Uhr mittags aufbrechen, bin ich dabei.«
»Gut.« Sie küsste ihn leicht auf die Wange. Gemeinsam fuhren sie nach oben und wünschten sich gegenseitig eine gute Nacht. Stanislaw holte Igor, während Joanna sofort in ihrem Zimmer verschwand. Sie hörte noch das Trappeln der Pfoten auf dem Flur und die leise Stimme ihres Vaters, der etwas zu Igor sagte, dann wurde es still.
Dreizehn
Stanislaw war inzwischen richtig durstig, und bevor dieser Durst immer brennender wurde, musste es jetzt etwas Stärkeres sein. Zusammen mit Igor verließ er das Hotel. Als er an der Rezeption vorbeiging, winkte ihm die junge Frau, die dort arbeitete, freundlich zu. Für sie war er ein Gast, der mit seinem Hund vor dem Schlafengehen noch einen Spaziergang unternahm. Scheinbar ziellos schlenderte er auf den kleinen Park in der Nähe zu, doch er hatte in einiger Entfernung Stimmen vernommen.
Auf einer Bank saß ein junges Paar, das heftig miteinander stritt. Stanislaw blieb stehen und wartete. Der Mann stand auf und rief der Frau noch ein paar erzürnte Worte zu, bevor er im Dunkel verschwand. Die Frau starrte ihm hinterher, dann zuckte sie trotzig mit den Schultern und holte aus ihrer Handtasche ein Päckchen Zigaretten hervor.
Während sie nach ihrem Feuerzeug suchte, kam Igor aus einem Gebüsch. Er hielt die Nase dicht am Boden und bewegte sich schnüffelnd vorwärts. Nachdem die Frau kurz hochgeblickt hatte, fuhr sie fort, in ihrer Tasche zu kramen.
»Darf ich Ihnen Feuer anbieten?« Stanislaw stand vor ihr und hielt ihr ein brennendes Streichholz entgegen.
»Oh, danke.« Sie inhalierte tief und stieß den Rauch energisch wieder aus.
»Ich hoffe, mein Hund hat Sie nicht erschreckt.«
Die junge Frau reagierte nicht und rauchte schweigend weiter, als sei sie in Gedanken ganz woanders. Verstohlen sah Stanislaw sich um. Der Park war zwischen zwei stark befahrenen Straßen gelegen und tagsüber sehr belebt. Um diese Stunde war kaum mit Spaziergängern zu rechnen, aber das konnte man natürlich nicht mit Gewissheit voraussagen, denn zumindest als Treffpunkt für Liebespaare schien er nachts sehr beliebt zu sein.
Sein Blutdurst machte Stanislaw leichtsinniger, als er es unter anderen Gegebenheiten gewesen wäre, aber vielleicht hatte es auch damit zu tun, dass er endlich wieder dort war, wo alles für ihn begonnen hatte. Er hob den Kopf und sog wie ein Tier mit geblähten Nüstern die kalte Nachtluft ein.
»Darf ich mich einen Moment zu Ihnen setzen?«
»Wenn Sie wollen«, sagte die junge Frau, ohne ihn zu beachten. Sie zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche und tippte mit hektischen Bewegungen eine SMS . Kurz darauf erhielt sie Antwort. Sie las sie mit zusammengezogenen Augenbrauen, warf die Zigarette auf den Boden, ohne sie auszutreten und verstaute das Handy.
»Haben Sie Probleme mit Ihrem Freund?« Stanislaws Stimme klang sanft.
Sie starrte ihn an, als werde sie sich erst jetzt seiner Gegenwart bewusst.
»Und wenn, wüsste ich nicht, was Sie das angeht!«, erwiderte sie schnippisch.
»Manche Probleme lösen sich von selbst«, flüsterte Stanislaw. »Haben Sie schon mal darüber nachgedacht?«
»Was wissen Sie denn darüber?«, gab sie zurück und betrachtete ihn näher von der Seite. Stanislaw sah, welcher Film in ihr ablief, während sie ihn musterte. Er wusste um seine Wirkung auf Frauen, egal welchen Alters, und die blonde Rumänin machte darin keine Ausnahme.
Plötzlich zutraulich geworden, erzählte sie, ja, sie habe sich mit ihrem Freund gestritten, er habe offenbar eine andere, wolle es aber nicht zugeben.
»Machen Sie ihn ihrerseits eifersüchtig«, riet Stanislaw, »das wirkt oft Wunder.«
Erneut betrachtete sie ihn von oben bis unten, bis sie offenbar einen Entschluss gefasst hatte. »Ich weiß, wohin er jetzt gegangen ist, es ist eine Bar hier in der Nähe. Begleiten Sie mich doch dorthin, dann werden wir ja sehen …«
Sie macht es mir leicht, dachte Stanislaw und
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