Hymne an Die Nacht
gebracht, manchmal sogar gegen ihren Willen. Mit Stanislaw hatte Ewa vor langer Zeit eine Art Waffenstillstand geschmiedet, und beide wussten, dass sie sich aufeinander verlassen konnten.
Sie holte tief Luft. »Du weißt, dass ich dich schätze, Stanislaw, auch wenn wir uns eigentlich in gegnerischen Lagern befinden. Du weißt aber auch, dass ich dir aufgrund unserer Regeln eigentlich nicht anvertrauen dürfte, was ich gesehen habe. Nun ja«, sie lachte grimmig, »du hast dich selbst über die Regeln deiner Art hinweggesetzt, und ich traue mir zu, ebenfalls mal eine Ausnahme zu machen, damit wären wir sozusagen wieder auf Augenhöhe.«
Sie machte eine Pause, wartete, dass er etwas erwiderte, aber da kam nichts. »Was ich dir jetzt erzählen werde, hat weniger mit meiner Wertschätzung für deine Person zu tun«, fuhr sie schließlich fort. »Es geht um deine Tochter. Sie ist ein ganz besonderes Geschöpf, und ich möchte nicht, dass ihr etwas zustößt.«
»Ich habe schon verstanden«, unterbrach er sie abrupt, »nun sag es endlich.«
»Du könntest wirklich etwas höflicher sein, wo bleibt deine aristokratische Erziehung?«
»Tut mir leid«, knurrte er, »wenn es wirklich wichtig ist, vergesse ich die schon mal.«
»Also gut«, antwortete sie besänftigt, »hör mir genau zu, denn ich sage es dir nur dieses eine Mal. Es geht um zwei Männer. Der eine ist hochgefährlich, und er ist auf dem Weg hierher. Er hat eine alte Rechnung mit euch beiden offen, du wirst wissen, wovon ich rede. Wenn ihr sofort abreist, könnt ihr ihm entkommen, aber das wäre nur ein Aufschub, denn er würde euch weiter verfolgen. Du bist aus vielen Gründen stärker als er, er hingegen ist momentan sehr stark durch den Hass, der ihn antreibt.«
Stanislaw blieb einen Moment still. »Und der andere Mann?«, fragte er schließlich.
»Der ist vielleicht so etwas wie der Joker im Spiel. Ich konnte ihn nicht so deutlich sehen wie den ersten, bei dem ist der Fall klar.«
Sie verstummte, denn sie wusste, dass sie sich als Hexe einem Vampir gegenüber schon sehr weit vorgewagt hatte.
Stanislaw ließ ihre Worte eine Weile auf sich wirken, dann fragte er leise: »Was rätst du mir?«
Ewa seufzte. »Stell dich dem Kampf, Stanislaw, er ist unausweichlich. Und versuch erst gar nicht, Joanna da herauszuhalten, sie wird eine wichtige Rolle dabei spielen. Sie ist ein Teil von dir, von deiner Geschichte. Du hast sie hierhergebracht, und hier wird sich klären, was noch im Nebel der Zukunft liegt.«
Mit diesen Worten verabschiedete sie sich von Stanislaw.
Vierzehn
Vadim war ein Schauspieler, der in jede Rolle und in jede Maske schlüpfen konnte. Jetzt, am letzten Drehtag, gefiel er sich darin, alle am Set mit vorbildlicher Disziplin zu verblüffen. Schon zwei Stunden, bevor die erste Klappe fallen sollte, hatte er sich dort eingefunden.
Die Party, die am Vorabend in einem Hotel in Brasov stattgefunden hatte, war nicht nach seinem Geschmack gewesen. Lieber hatte er sich in die Abgeschiedenheit von Poiana Brasov zurückgezogen, wo eines seiner Besitztümer lag. Der Höhenkurort war nur zwanzig Minuten vom historischen Brasov entfernt und konnte von dort aus durch eine gut ausgebaute Straße, die sich in Serpentinen hinaufwand, erreicht werden.
Vadim hatte das weitläufige Chalet von seinem Vater geerbt und nach dessen Tod renovieren und ausbauen lassen. Jetzt sah das Gebäude zwar noch immer entfernt rustikal aus, doch mit den vielen nachträglich aufgestockten Türmchen und angebauten Erkern hatte es zugleich den Charakter eines verwunschenen Schlösschens angenommen.
Jeder der mehr als zwanzig Räume war mit viel Geschmack und sehr individuell gestaltet worden. Mehrere bekannte Designer hatten versucht, dem Hausherrn ihre sogenannten Visionen aufzuschwatzen, bis er endlich einem Innenarchitekten begegnet war, der verstand, was sein Auftraggeber wollte. Das Ergebnis war so überzeugend, dass sich internationale Magazine darum rissen, eine Homestory darüber veröffentlichen zu dürfen.
Vadim liebte diesen Ort, hier war er wirklich zu Hause.
Poiana Brasov selbst war erst nach dem Fall des kommunistischen Regimes richtig aufgeblüht. Seitdem hatten Investoren ein Hotel nach dem anderen errichtet, und mittlerweile war der Ort auch bei westlichen Touristen sehr beliebt. Im Sommer konnte man von diesem Höhenplateau aus Wanderungen in die Karpaten unternehmen, im Winter war es mit seinen zahlreichen Bergbahnen ein Paradies für Skifahrer. Dazu kam
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