Hymne an Die Nacht
meiner Verteidigung antreten wollte.«
»Doch zuvor hast du ausgerechnet im Angesicht von deinesgleichen ein flammendes Plädoyer auf die Liebe gehalten, wirklich, Stanislaw, heutzutage würde man sagen, das war sehr cool!«
»Flammend und cool«, sagte er lächelnd, »wie geht das denn zusammen?«
»Na gut, vielleicht sollte man deinen Auftritt bei den anderen Vampiren als sehr verwegen bezeichnen, zufrieden?«
Er drückte ihre Hand. »Ich weiß nicht, wie meine Worte bei den anderen angekommen sind«, erwiderte er nachdenklich, »aber bei dem alten Boris, der ihr Sprecher war, haben sie wohl etwas ausgelöst, spätestens, als er von Kyrills Rolle in dem Ganzen erfahren hat.«
Erneut verloren sich beide einen Moment lang in ihren Erinnerungen, bis Joanna sich fröstelnd aufrichtete. »Lass uns fahren.«
Stanislaw nickte und wollte den Wagen anlassen, als er die schemenhaften Umrisse an der Böschung unterhalb der Straße wahrnahm.
»Wölfe«, sagte er leise zu Joanna.
Aus Igors Kehle kam ein dunkler Laut, der sich zu einem anhaltenden Knurren steigerte.
»Ganz ruhig, Igor«, murmelte Stanislaw. Er sah Joanna an, legte den Finger auf die Lippen und war so schnell ausgestiegen, dass weder Igor noch Joanna Zeit gehabt hatten, zu reagieren.
»Was hast du vor?«, rief sie ihm nach, doch da hatte er die Tür schon zugeschlagen. Draußen entfernte er sich ein paar Schritte vom Wagen, blieb stehen, blickte zu den schneebedeckten Wäldern empor und wartete.
Eines der größeren Tiere näherte sich von unten, witterte und kam dann direkt auf ihn zu. Stanislaw regte sich nicht, auch nicht, als der Wolf sich gegen seine Beine schmiegte und seine Hand leckte, bis er ihn mit einer raschen Bewegung verscheuchte.
Igor sprang wie ein Berserker auf der Rückbank umher, und Joanna gab es auf, ihn bändigen zu wollen. Langsam kehrte Stanislaw zum Auto zurück.
»Ich kenne ja deine Liebe zu Hunden«, sagte er beim Einsteigen, »aber besser versuchst du gar nicht erst, mir das nachzumachen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Wölfe verstehen, dass du die Tochter eines Vampirs bist.«
»Warum bist du ausgestiegen?«, konterte sie seine Bemerkung.
Er warf ihr einen Seitenblick zu, während der Geländewagen die erste der langen Serpentinen nahm.
»Ich wollte, dass sie näher kommen, ich wollte einen von ihnen ganz dicht bei mir haben, ich wollte seinen Atem spüren und seinen Geruch.«
Joanna fragte nicht weiter. Sie wandte sich zu Igor um, der sich halbwegs beruhigt hatte. Nach der übernächsten Kurve sagte sie übergangslos: »Wenn ich das richtig sehe, dann seid ihr zwei, also du und Daphne, zwar ein untrennbares Liebespaar, aber ihr habt so wenig Zeit füreinander.«
»Mmhh, ja, so ungefähr. Was genau willst du wissen?«
»Das weiß ich selbst nicht so recht«, murmelte sie, doch Stanislaw spürte, dass sie weniger an den Facetten seiner Beziehung zu Daphne interessiert war als an etwas anderem, das sie momentan sehr beschäftigte. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er sich seit dem Beginn ihrer Reise fast nur um sich selbst gekümmert hatte und um seinen Ausflug in die Vergangenheit.
Auch deshalb musste er Radu Nicolescu dankbar sein. Durch die unerwartete Bekanntschaft mit ihm waren sie in eine vollkommen andere Welt hineingeraten, und so gesehen war das Zusammentreffen mit den Filmleuten ein willkommenes Gegengewicht zu ihren bisherigen Erlebnissen. Mit einem wie Radu würde sich Stanislaw gern mal unter vier Augen in Ruhe unterhalten, er war sicher, dass sie sich viel zu erzählen hätten. Und seine Verbindung zu Maria hatte ihm einfach nur ein wenig das Herz erwärmt, sie war klug, humorvoll, und sie stammte aus der hiesigen Gegend. Dass sie auch noch eine attraktive junge Frau war, durfte man ihm doch nicht vorwerfen.
»Was hat Daphne jetzt vor?«, fragte Joanna, ohne deren Anruf bei ihr zu erwähnen. »Wie soll das mit euch weitergehen?«
»Ich habe vorhin mit ihr telefoniert. Sie klang sehr munter. Sie bereitet eine große Tournee vor, die sie in mehrere europäische Länder führen wird.«
»Heißt das, sie startet als Musikerin noch mal richtig durch?«
»Ja, es sieht so aus, und darüber bin ich sehr glücklich.« Er machte eine Pause, dann fuhr er fort: »Was Daphne und mich inzwischen verbindet, kann uns durch nichts und niemanden mehr genommen werden.«
Joanna nickte und sah aus dem Fenster.
»Was hältst du von Vadim?«, fragte er unvermittelt.
Sie ließ sich Zeit mit der Antwort.
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