Hymne an Die Nacht
Barkeeper nickte eifrig, »viele bekannte Politiker haben hier ein Chalet, auch wichtige Leute aus der Medienbranche, und außerdem …«, er senkte die Stimme, »besitzt unser größter Filmstar hier ein schlossähnliches Anwesen, Sie haben vielleicht von ihm gehört?«
»Ach, Sie meinen diesen Vadim? Ja, ich habe mal etwas über den gelesen. Hat er nicht auch in Cannes neulich einen Preis gewonnen?«
Der Barkeeper strahlte. »Genau, Sie sind ja recht gut informiert.«
Kyrill setzte eine gleichmütige Miene auf. »Ach, nicht wirklich, ich interessiere mich eigentlich nicht so sehr für das Filmgeschäft.«
»Aber dieses Schloss, das der hier bewohnt, das sollten Sie sehen! Ist sehr eindrucksvoll, war auch schon in internationalen Architekturzeitschriften abgebildet.«
»Tatsächlich? Das würde ich mir morgen auf meinem Weg runter in die Stadt gern mal von außen anschauen. Wie komme ich dorthin? Ist es weit weg vom Hotel?«
Der Barkeeper winkte ab. »Gar nicht, Sie werden es leicht finden, es liegt am Ende einer Seitenstraße gleich hinter dem Ortsanfang.« Der Barkeeper beschrieb ihm den Weg.
»Was ist, schmeckt Ihnen der Wein doch nicht?« Er deutete auf Kyrills fast unberührtes Glas.
Sofort führte Kyrill das Getränk an die Lippen und nahm einen Schluck. »Sie haben so interessant erzählt, da hab ich es ganz vergessen.« Er sah sich in der Bar um. »Ist wohl noch nicht viel los um diese Zeit, oder?«
»Das wird sich bald ändern, im Dezember kommen die ersten Skiläufer, und bis Weihnachten ist es dann richtig voll, da ist jedes Hotelbett belegt. Außerdem sind schon einige von denen eingetroffen, die hier eigene Wohnsitze haben. Die bleiben dann aber meistens nur übers Wochenende so wie jetzt. Und Vadim hat vor ein paar Tagen eine riesige Party für seine Filmcrew gegeben, und da kamen dann auch noch andere Gäste aus Bukarest. Unser Hotel hat das Catering gemacht, und ich habe beim Service ausgeholfen, daher weiß ich das.«
Der Rumäne war jetzt endgültig in Plauderstimmung. Kyrill konnte das verstehen, in dieser Vorsaison war sein Job sicher ziemlich öde.
»Ja, da waren wohl einige Paradiesvögel versammelt«, murmelte Kyrill und nahm anstandshalber einen weiteren Schluck. Er triumphierte innerlich, war er doch ganz unerwartet auf eine so gut informierte Quelle gestoßen.
»Na ja«, sagte der Mann hinter der Bar, »Vadim versammelt immer die schönsten Frauen, da gab es schon etwas zu sehen. Aber an dem Abend hatte er noch zwei ganz besondere Gäste eingeladen, einen ungarischen Grafen und dessen Tochter. Die Kleine ist inzwischen offenbar bei Vadim eingezogen, wie man hier munkelt. Irgendwie seltsam, ich hab sie ja kurz gesehen, die Tochter, meine ich, sie passt eigentlich nicht so richtig in sein Beuteschema.«
Kyrill hatte für den Moment genug gehört. »Anscheinend ist hier oben doch manchmal mehr los, als man denken würde«, sagte er grinsend und legte ein Trinkgeld neben die Rechnung, bei dessen Anblick sich die Augen des Mannes hinter dem Tresen weiteten. Er bedankte sich etwas zu überschwenglich und wünschte dem neuen Gast eine gute Nacht.
Sechsundzwanzig
»Stanislaw? Ich muss dich sprechen.« Ewas Stimme klang ungewohnt angespannt.
»Am Telefon, oder wollen wir uns bei mir im Hotel treffen?«
»Besser, ich komme zu dir, ich habe meine Gründe. In zwei Stunden, um halb sieben in der Bar.«
»Gut«, erwiderte er ebenso knapp, »ich erwarte dich.«
Nach diesem Anruf ging er hinunter zur Rezeption und ließ für diese Uhrzeit eine diskrete Ecke in der Bar reservieren. Igor, der sich sehr dicht an seiner Seite hielt, wedelte erwartungsvoll.
»Ist gut, mein Großer«, Stanislaws Hand glitt über das struppige Fell seines Gefährten, »wir machen jetzt einen Spaziergang.«
Draußen empfing sie leichtes Schneetreiben, und es war fast dunkel. Stanislaw mied die Hauptverkehrsstraßen und steuerte auf die engen Gassen im mittelalterlichen Stadtkern zu. Er ließ sich treiben, ziellos, planlos. Die Bewegung und das Gefühl des Unterwegsseins taten ihm gut, es half ihm, seine Gedanken zu klären, die immer wieder bei Joanna waren.
Er wusste, dass er sie loslassen musste, wenn er sie nicht verlieren wollte. Zum ersten Mal erlebte sie ein starkes Gefühl, das sie weit forttrug, momentan auch weit fort von ihm. Sein größter Wunsch war, sie zu beschützen, vor allem vor sich selbst, doch er hatte kein Recht, sie vor Erfahrungen zu bewahren, die unausweichlich auf ihrem Weg lagen.
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