Hymne an Die Nacht
wartete, bis sich der Aufruhr in ihm etwas beruhigt hatte. Dann stieg er leise aus und verbarg sich hinter einem Gebüsch. Weshalb hatten die beiden am Straßenrand angehalten, was hatten sie vor?
Kyrill spähte von seinem Beobachtungsposten aus unverwandt auf die Straße. Der Landcruiser war bis jetzt nicht an ihm vorbeigezogen. Waren sie ebenfalls in einen Waldweg hineingefahren, trieben sie es gerade schon auf den Liegesitzen miteinander?
Bei der Vorstellung, wie der andere Mann Joanna umfasste und liebkoste, wie sie die Arme um ihn schlang und sich zärtlich an ihn schmiegte, bleckte Kyrill in ohnmächtigem Zorn die Zähne. Er lauschte in die Nacht, und jetzt drangen Laute zu ihm, die ebenfalls aus dem Wald kamen. Es war also, wie er es vermutet hatte. Und sie konnten nicht weit weg sein.
Langsam einen Fuß vor den anderen setzend, schlich Kyrill sich an. Die inzwischen schon dicht geschlossene Schneedecke dämpfte seine Tritte, doch er musste vorsichtig sein. Joanna war zwar eine Sterbliche, aber sie besaß ähnlich verfeinerte Sinne wie jemand von seinesgleichen, schließlich war sie die Tochter eines mächtigen Vampirs. Beim Gedanken an Stanislaw stieg erneut brennender Hass in ihm hoch.
Er zwang sich, seine Emotionen zu unterdrücken und nur an sein Ziel zu denken. Dies war nicht der Zeitpunkt, um zuzuschlagen, er würde warten müssen. Dennoch trieb ihn etwas in seinem Inneren dazu, herauszufinden, was zwischen Joanna und Vadim geschah, er wollte wissen, welche Intimität es zwischen ihnen gab, auch wenn es ihn noch so sehr quälen würde.
So nahe wie möglich pirschte Kyrill sich an den Wagen heran, der jetzt am Rand einer kleinen Lichtung stand. Hinter einer Gruppe tief verschneiter Bäume, die ihm Schutz vor Entdeckung boten, hielt Kyrill inne. Die Zweige bogen sich schwer unter ihrer Last und gaben an einigen Stellen den Blick auf die Lichtung frei.
Die beiden waren im Inneren des Fahrzeugs sitzen geblieben, sie saßen sich auf den Rückbänken gegenüber, aßen und tranken und unterhielten sich angeregt. Leise Musik erklang aus dem CD -Player, es hörte sich nach rumänischen Volksweisen an. Joanna sah mehrmals aus dem Fenster und deutete auf den Mond, der als schmale Sichel am Himmel stand.
Kyrills Züge verzogen sich spöttisch. Ein Picknick im Mondschein also, das passte zu ihr. Plötzlich hob sie den Kopf und sah in seine Richtung, als habe sie von draußen ein Geräusch wahrgenommen. Doch dann wurde Joannas Aufmerksamkeit wieder ganz von diesem Schauspieler gefesselt, der etwas zu ihr sagte. Im nächsten Moment setzte sich Vadim neben sie, nahm sie in die Arme, und Joanna schmiegte sich an seine Brust. Ein knurrender Laut formte sich in Kyrill, den er erst im letzten Augenblick zurückhalten konnte. Und dann sah er den Kuss, den die beiden tauschten. Es war nicht so sehr Leidenschaft, was er darin entdeckte, es hatte vielmehr etwas von einer seltsam tastenden Zärtlichkeit, die Kyrill fremd war.
Rasch wandte er sich ab, er hatte genug gesehen. Egal wie, er musste sich von dieser jungen Frau befreien, die auf untergründige Weise so viel Macht über ihn gewonnen hatte. Und er würde es auf die einzig mögliche Weise tun, die ihm blieb.
*
Nach wenigen Kilometern tauchte das Ortsschild auf: »Poiana Brasov«. Kyrill fuhr auf vereinzelte Lichter zu, die in der Ferne blinkten. Kurz darauf war er in Rumäniens bekanntestem Wintersportort angekommen, in dem die Saison gerade begann. Die Straße war schon von einer geschlossenen Schneedecke überzogen, und der Wagen glitt langsam über die noch nicht geräumte Strecke. Sein Navigationssystem wies ihm den Weg zu dem Hotel, in dem er sich für die nächsten Tage einquartiert hatte. Es gehörte zu einer internationalen Kette und entsprach Kyrills Bedürfnis nach Anonymität.
Kyrill hielt vor dem Hoteleingang, wartete, bis sich jemand um sein Gepäck und um seinen Wagen kümmerte, und ging gemächlich auf die Rezeption zu. Die Halle war leer, doch aus der Bar am anderen Ende kam leise Musik und das Geräusch von Stimmen.
Die hübsche Frau am Empfangstisch sah ihm entgegen und hieß ihn auf Englisch willkommen: »Good evening, Sir, you must be Kyrill Koslov. We have been waiting for your late arrival as it was announced. Did you have a pleasant journey?«
»Thank you«, erwiderte er, »yes, I am Kyrill Koslov.« Er hielt ihr einen Pass hin, in dem wie bei seinen anderen Ausweisen alles gefälscht war außer seiner nationalen Abstammung. Seine
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