Hymne an Die Nacht
Sprache und sein Aussehen würden ihn immer verraten, das war ihm von Anfang an klar gewesen, und deshalb hatte er gar nicht erst versucht, sich einen neuen Geburtsort zuzulegen. In einer Zeit, die so vielen Menschen Zugang zu fast jeder Art von Information ermöglichte, war es für einen Vampir schwieriger denn je, seine Herkunft zu verschleiern.
Seine Ankunft in diesem Wintersportort zu Beginn der Saison würde Neugier erregen. Sosehr er sich auch bemüht hatte, sich unauffällig und der Jahreszeit entsprechend zu kleiden, umgab ihn eine exotisch wirkende Aura, die er nicht loswurde. Seine äußere Erscheinung verriet den slawischen Typus, der teure Geländewagen deutete auf Wohlstand hin, und dann war da diese ungreifbare Ausstrahlung, die jedem Vampir zu eigen war. Jemand wie Stanislaw hatte gelernt, sich hinter immer neuen Masken zu verbergen, doch er, Kyrill, war in der Hinsicht noch ein Anfänger.
Die Hotelangestellte musterte ihn diskret. »Wie lange werden Sie unser Gast sein?«, fragte sie jetzt auf Russisch. »Sie hatten bei Ihrer Buchung von einigen Tagen gesprochen.«
Er lächelte sie an, erfreut, sich mit ihr in seiner Muttersprache unterhalten zu können. »Ich denke, ich werde höchstens zwei Nächte bleiben«, erwiderte er, »ich bin nur auf der Durchreise und habe unten in Brasov geschäftlich zu tun. Aber dieser Ort wurde mir von Bekannten als landschaftlich besonders reizvoll geschildert, deshalb wollte ich ihn mir anschauen, wenn ich schon einmal hier in der Gegend bin.«
»Wir haben hier viele russische Gäste«, sagte sie unaufgefordert, was wohl seine unausgesprochene Frage beantworten sollte, woher sie seine Sprache so gut beherrschte.
Sie reichte ihm das Anmeldeformular. »Wenn Sie bitte hier unterschreiben wollen, und hätten Sie noch eine Kreditkarte für mich?«
Er tat, worum sie ihn gebeten hatte. Sein Blick sog sich an ihrem Hals fest, an der glatten, weißen Haut, wanderte tiefer zum Ausschnitt ihrer Bluse, unter dem sich feine bläuliche Adern abzeichneten. Rasch wandte er sich ab, während sie den Zimmerschlüssel suchte.
»Lassen Sie mein Gepäck bitte schon nach oben bringen, ich gehe in die Bar, nach der langen Fahrt brauche ich eine Stärkung.«
Sie nickte zuvorkommend. »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt bei uns, und ich hoffe, es wird alles zu Ihrer Zufriedenheit sein!«
Die Bar war mit modernen Loungemöbeln ausgestattet, was in dieser ländlichen Umgebung fremd wirkte. Aus den Lautsprecherboxen drang genau die Art von belangloser Beschallung, die Kyrill zuwider war. Es waren nur zwei der niedrigen Tische besetzt. An einem saßen drei Männer in winterlicher Sportkleidung, deren Gespräch bei seinem Erscheinen vorübergehend verstummte. Am anderen Tisch räkelte sich eine junge Frau in einem ledernen Minirock, deren lange Beine in kniehohen Fellstiefeln steckten. Der Mann neben ihr, in dem Kyrill sofort den wohlhabenden Parteibonzen erkannte, raunte ihr etwas zu, als er die Bar betrat, worauf sie den Blick hob.
Kyrill neigte für einen angedeuteten Gruß den Kopf und ließ sich auf einem der Barhocker nieder. Der Mann hinter dem Tresen, der bis dahin gelangweilt Gläser poliert hatte, verzog das Gesicht, denn er hatte offenbar mit einem baldigen Feierabend gerechnet.
»Guten Abend. Ich bin gerade erst angekommen. Es war eine lange Reise, und jetzt brauche ich dringend einen Drink.« Kyrill zauberte ein gewinnendes Lächeln hervor, und schon verwandelte sich der Barkeeper von einem missmutigen Angestellten in jemanden, der diensteifrig die Wünsche des neuen Gastes entgegennahm.
»Was darf’s denn sein?«
»Einen hiesigen Rotwein hätte ich gern.«
»Bitte sehr, mein Herr«, mit schwungvoller Geste reichte er Kyrill ein Glas Rotwein von den Karpaten. »Sehr zum Wohl.«
»Man soll immer die Früchte des Landes genießen, finde ich.« Kyrill schnupperte am Glas, bis er anerkennend ausatmete. »Sehr aromatische Nase, ich hatte keine Ahnung, dass ihr in Rumänien so guten Wein produziert.«
Als er die Miene des Barkeepers bemerkte, fügte er rasch hinzu: »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin zum ersten Mal in Ihrem Land und weiß wenig darüber.«
Die Gesichtszüge des Rumänen entspannten sich, während Kyrill sich ein wenig vorbeugte und in vertraulichem Ton fortfuhr: »Für mich ist das hier alles neu. Aber man hat mir einiges über Poiana Brasov erzählt. Das soll ja ein richtiger Prominentenort sein.«
»Ja, das stimmt«, der
Weitere Kostenlose Bücher