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Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Madsack
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zu nehmen. Das sind machtvolle Triebe, Stanislaw, die ganz neue Kräfte verleihen.«
    Er wartete, bis sie weitersprach:
    »Genau dort liegt aber auch seine Schwachstelle. Er wird jede Kontrolle über sein Handeln verlieren, sobald er sich seinem Ziel ganz nahe fühlt.«
    Da war sich Stanislaw nicht so sicher. Gerade weil sein Gegner sich seinem Ziel so nahe fühlte, würde er vermutlich jetzt mit großer Kaltblütigkeit vorgehen.
    Ewa stand auf. »Ich höre dann bald von dir«, sagte sie in ihrem üblichen Befehlston.

Siebenundzwanzig
    Vadims Hand mit den langen, schlanken Fingern ruhte auf Joannas angewinkeltem Oberschenkel. Sie lagerten auf den großen Kissen vor dem Kamin, Joannas Rücken war gegen seine Brust geschmiegt. Er strich durch ihre rotblonden Locken, bis sie mit einem zufriedenen Seufzer die Hand nach ihrem Glas ausstreckte. Ihr nackter Körper glänzte im Widerschein des Feuers, das nur noch träge züngelte.
    »Ich lege ein paar Scheite auf«, sagte er und wollte sich sanft aus der Umarmung befreien, doch sie hielt seine Hand fest.
    »Nicht nötig«, murmelte sie und blies spielerisch ganz leicht ins Feuer, worauf bläulich schimmernde Blitze die Flammen wie von einer geheimen Kraft gelenkt auflodern ließen. Kurz darauf beruhigte sich das Feuer und brannte wieder gleichmäßig vor sich hin.
    Vadim starrte in den Kamin, dann drehte er Joannas Kopf zu sich herum. »Was war denn das für ein Spuk?« Seine Stimme zitterte kaum merklich. »Kannst du zaubern?«
    Sie vermied es, ihn anzusehen, und er spürte, wie ein leises Beben durch ihren Körper ging.
    »Ein alter indischer Yogi-Trick«, sagte sie leichthin, doch ihre Anspannung entging ihm nicht. »Das kann jeder lernen, der sich ein bisschen mit diesen Dingen beschäftigt.«
    Sie wollte sich wieder an seine Brust schmiegen, doch er entzog sich. Er richtete sich auf und rückte von ihr ab, um nach dem Päckchen Zigaretten zu greifen, das auf einem niedrigen Tisch neben ihm lag. Er zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch heftig aus.
    Ein unbehagliches Schweigen entstand. »So, so«, sagte er nach einer Weile, »das kann also jeder lernen?«
    »Es ist spät geworden«, erwiderte sie, »lass uns schlafen gehen.«
    »Geh du voraus, ich bleibe noch einen Moment hier.«
    Er sah ihr zu, wie sie langsam in ihren Kimono schlüpfte. Auf ihren Gesichtszügen lag ein Ausdruck, den er noch nie an ihr gesehen hatte und den er nicht deuten konnte. War darin so etwas wie Verlegenheit zu lesen oder sogar ein Anflug von Schuldbewusstsein?
    »Bis nachher«, sagte sie leise, und schon war sie durch die Tür verschwunden, die sich geräuschlos hinter ihr schloss.
    Vadim blieb einen Moment reglos vor dem Feuer sitzen, dann griff er zum Haustelefon. Cornel war ein Nachtmensch und um diese Zeit meist noch nicht zu Bett gegangen.
    »Schlaflos, großer Meister?«, fragte Cornel, der schon nach dem ersten Klingeln abgenommen hatte. »Was kann ich für dich tun?«
    »Du könntest zu mir vor den Kamin kommen und für uns beide noch eine Flasche Wein mitbringen, ich meine, für dich und für mich.«
    »Das Komtesschen hat sich schon zur Nachtruhe begeben?«
    »Frag nicht so viel«, knurrte Vadim, »komm einfach her und lass uns unter Männern reden.«
     
    Fünf Minuten später saßen sie vor einer Flasche Wein, die den schönen Namen »Karpatenblut« auf dem Etikett trug, und prosteten sich zu.
    »Etwas stimmt nicht mit ihr«, stöhnte Vadim, »sie wird mir immer unheimlicher, dabei wirkt sie eigentlich so harmlos … und so unschuldig.«
    »Was sie natürlich nicht ist«, erwiderte Cornel und schnupperte wohlgefällig an seinem Glas. »Jetzt erzähl schon, was ist passiert?«
    Und Vadim berichtete davon, was sich gerade abgespielt hatte.
    Cornel holte tief Luft und stieß den Atem langsam wieder aus.
    »Aber das ist noch nicht alles«, fuhr Vadim fort, dessen Gesichtsausdruck sich immer mehr verfinsterte. »Als wir nach unserem Mondscheinpicknick zusammenpacken wollten, standen wir einen Moment vor dem offenen Wagen, und da sahen wir uns auf eine Entfernung von vielleicht fünfzig Metern plötzlich einem riesigen Wolf gegenüber. Er stand ganz still und starrte uns an. Ich zog langsam die Pistole, zielte, war dabei abzudrücken, und dann …«
    »Ja?«, fragte Cornel gespannt.
    »Du weißt, dass ich ein guter Schütze bin, und ich schwöre dir, dass mir so was noch nie passiert ist, aber ich bekam plötzlich einen Krampf in der Hand, die Kugel löste sich und schlug

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