Hymne an Die Nacht
Die Veranstaltung fand in einem der Festsäle statt, und man sah das Servicepersonal hektisch hin und her laufen.
Vadim betrat die Bar gegen acht Uhr und grüßte verhalten die wenigen Gäste, die an den Tischen vor einem Drink saßen. Natürlich kannten ihn die Einheimischen und erwiderten seinen Gruß ebenso diskret, denn jeder wusste, wie sehr er auf seine Privatsphäre bedacht war, besonders hier oben in Poiana Brasov.
Er setzte sich auf einen Barhocker, als auch schon jemand vom Service auf ihn zueilte. »Herr Vadim, welche Ehre, ich sag dem Barkeeper sofort Bescheid, dass Sie hier sind.«
»Ja, schon gut«, sagte Vadim. Sein Mobiltelefon summte. Etwas unwillig über die Störung las er die Nachricht. Sie war von dem amerikanischen Produzenten, der wissen wollte, ob er sein Angebot akzeptierte, doch Vadim hatte jetzt keine Lust, darauf zu antworten.
In dem Moment schwang die Tür auf, und ein Mann mittleren Alters von athletischer Statur trat ein. Vadim vermutete sofort, dass es sich um den Russen handelte, er kannte den Typus. Kantige, etwas grobe Gesichtszüge, teuer gekleidet, selbstbewusst im Auftreten.
Der Mann kam auf ihn zu und wies auf den freien Hocker neben ihm. »Gestatten Sie?«
»Bitte«, Vadim machte eine einladende Geste.
Der Russe setzte sich, griff zur Getränkekarte und studierte sie mit konzentriertem Gesichtsausdruck.
Der Barkeeper vom Vorabend hatte offenbar frei oder war zu der Hochzeit abkommandiert worden, denn ein jüngerer Angestellter erschien und erkundigte sich nach ihren Wünschen.
»Einen Rotwein bitte«, sagte der Russe lächelnd, »der hat mir schon gestern gut geschmeckt.«
»Ich schließe mich an.« Vadim zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln, schließlich war er Schauspieler. Und er würde über diesen Mann nur dann mehr erfahren, wenn er seine Rolle jetzt gut spielte.
Er ging zum Angriff über. »Vadim Lupescu«, sagte er und streckte seine Hand aus. Der andere nahm sie kurz und zog seine Hand sofort wieder zurück. Sie hatte sich ungewöhnlich kalt angefühlt, fand Vadim.
»Kyrill Koslov«, stellte sich der Russe vor. Ein wenig zu vertraulich für Vadims Geschmack beugte er sich vor: »Bitte verzeihen Sie meine Indiskretion. Ich weiß natürlich, wer Sie sind. Ich habe mir heute Ihr wundervolles Anwesen angeschaut, nachdem die Leute hier im Hotel so davon geschwärmt hatten, aber ich fürchte, Ihr Butler war darüber gar nicht erfreut. Vermutlich kommen immer wieder Neugierige, die fotografieren wollen, und das kann wirklich lästig werden. Bitte entschuldigen Sie nochmals!«
»Aber das muss Ihnen doch nicht peinlich sein«, sagte Vadim beschwichtigend. »Es ist sehr schmeichelhaft für mich, wenn mein Wohnsitz solches Interesse erregt, vor allem bei Menschen, die offenbar etwas davon verstehen. Darf ich fragen, wo Sie zu Hause sind?«
»Ich bin zwar gebürtiger Russe, aber ich habe mich vor Jahren für ein Domizil in einem mediterranen Land entschieden.«
»Dann wahrscheinlich in Italien«, mutmaßte Vadim, »dort gibt es die schönsten Frauen, die beste Küche, die interessanteste Geschichte, reizvolle Landschaft …«
»Das mag ja sein, aber ich habe das südliche Spanien vorgezogen. Das Klima dort ist einzigartig in Europa.«
»Lassen Sie mich raten, Kyrill. Malaga, Sevilla, Granada?«
»Alles falsch. Ich lebe in Marbella.«
»In Marbella?« Vadim, der nie an Übersinnliches geglaubt hatte, spürte unerwartet einen eisigen Hauch über sich hinweggleiten. Doch sofort verdrängte er diese Empfindung. »Das ist sicher auch ein Ort, wo es sich angenehm leben lässt«, erwiderte er und bemühte sich um einen gelassenen Tonfall, »obwohl ich noch nie dort gewesen bin.« Er nahm einen Schluck Wein.
»Das sollten Sie bald nachholen, Vadim, Marbella hat tatsächlich vieles zu bieten.«
Vadim tat, als überlege er. »Aber ist dieser Ort nicht zwischendurch ziemlich in Verruf geraten? Da gab es vor Jahren einen gewaltigen Korruptionsskandal, wenn ich mich recht erinnere.«
»Ach, das ist alles längst vorbei«, erwiderte Kyrill. »In Marbellas wechselhafter Geschichte ging es mit dem Ort immer wieder mal rauf, mal runter, und zur Zeit geht es eher wieder rauf. Nicht zuletzt, weil viele meiner Landsleute sich dort niederlassen und gutes Geld in alle möglichen Projekte investieren.«
Vadim nickte sinnend. »Darf ich fragen, in welcher Branche Sie tätig sind?«
»Im Rohstoffhandel, ein sehr lukratives Geschäftsfeld. Und im Nebenberuf, sozusagen als Hobby,
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