Hymne an Die Nacht
ihn dort konfrontiert hatte, und die brutale Art, wie er sich von ihr losgesagt hatte, weil er diese Wahrheit nicht hatte ertragen können.
»Versteh doch«, Vadim barg das Gesicht in den Händen, »für mich ist eine Welt zusammengebrochen, die Welt des Rationalen, Fassbaren, an die ich immer geglaubt habe und an die ich mich immer gehalten habe. Dabei bin ich mit den Mythen und Legenden dieser Gegend aufgewachsen …«
» … die du immer verachtet hast«, sagte Cornel leise. Er musste erst einmal verkraften, was Vadim ihm soeben offenbart hatte. Es erschütterte ihn zwar tief in seinem Inneren, doch anders als Vadim hatte er die Existenz einer solchen Gegenwelt stets für möglich gehalten.
»Trotzdem hat dir dein Publikum die Rolle des Vampirs nicht nur geglaubt«, fuhr er nach einer Weile fort, »du wurdest damit sogar identifiziert wie kein anderer. Was für eine Ironie des Schicksals, dass dich dieses Thema jetzt in der Gestalt von Joanna eingeholt hat!«
Beide starrten in die Dunkelheit hinaus. Und dann packte ihn Vadim bei den Schultern. »Ich kann das alles noch immer nicht verstehen, mir schwirrt der Kopf, und ich bin vollkommen durcheinander, aber wir müssen sie suchen, Cornel, wir müssen sie warnen!«
Cornel richtete sich in seinem Sitz auf, öffnete das Fenster, durch das kalte Nachtluft ins Innere des Wagens drang, und zog ein Päckchen Zigaretten hervor. »Auch eine?«, fragte er.
Vadim griff gierig zu, und eine Weile rauchten sie schweigend, bis Cornel die Kippe aus dem Wagenfenster schnipste.
»Vadim«, sagte er bedächtig, »wie lange kennen wir uns?«
»Fünfundzwanzig Jahre dürften es mindestens sein«, erwiderte der Sohn seines früheren Arbeitgebers überrascht.
»Ein Vierteljahrhundert ist eine lange Zeit. Ich habe den Tod deiner Eltern miterlebt, und ich habe deinen weiteren Lebensweg begleitet, so gut ich konnte.«
Vadim hob erstaunt den Kopf und wollte etwas sagen, doch Cornel gebot ihm mit einer Geste Einhalt.
»Bei all deinen Höhen und Tiefen war ich dabei, und es war unvermeidbar, dass ich manches über dich erfuhr, das ich lieber nicht gewusst hätte, dein unstetes Privatleben, deinen beruflichen Absturz, nachdem dein früherer Schwiegervater dir geschadet hatte, wo er nur konnte, deine Drogensucht, als du aus Amerika zurückgekehrt warst.«
Vadim hatte sich in seinem Beifahrersitz zurückgelehnt und hörte still zu.
»Inzwischen warst du erfolgreich und auch hier in Rumänien ein Star, und nach der Zeit in Los Angeles war ich wieder ständig an deiner Seite. Schließlich hatte ich es deinem Vater versprochen. Ich spürte zwar, wie froh du warst, wieder in deiner Heimat sein zu können, aber trotz deines Ruhms und trotz der Bewunderung deiner Fans bist du ein Getriebener geblieben.«
Cornel hielt inne.
»Sprich weiter«, bat ihn Vadim leise.
»Du konntest die schönsten Frauen haben, du musstest nur auswählen, aber bei keiner bist du geblieben. Bei deinen Filmprojekten war es ähnlich, du musstest lediglich darauf warten, was man dir anbietet, um dich dann in Ruhe zu entscheiden. Du hast Wohnsitze an privilegierten Orten der Welt, um die dich viele beneiden, und dennoch hält es dich nirgendwo auf Dauer. Und wenn du in Schwierigkeiten gerätst, bin ich zur Stelle, als dein treuer Diener und langjähriger Vertrauter. Dann tauchen völlig unerwartet diese beiden hier auf, der Graf von Lugosy und seine Tochter Joanna, und seitdem ist nichts mehr, wie es war.«
Vadim nickte müde.
»Es ist unübersehbar, wie sehr ihr voneinander angezogen seid, du und diese junge Frau, die wie aus dem Nichts in dein Leben gekommen ist und die so vollkommen anders ist als all ihre Vorgängerinnen. Doch von da an wurde ein verwirrendes Spiel daraus. Mal schien sie auf dich zuzugehen, dann zog sie sich wieder zurück. Bis ihr endlich zusammenfandet, hier oben in Poiana Brasov.«
»Ja«, flüsterte Vadim, »und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich so etwas wie Glück verspürt, eine unbekannte, ungeahnte Empfindung. Es fühlte sich an, als sei ich an einem sicheren Ort angekommen, als sei ich …«, er zögerte, «als sei ich endlich da, wo ich hingehöre.«
»Dieses Glück hast du nun erst einmal zerstört«, stellte Cornel in trockenem Tonfall fest. Doch dann sah er den Sohn des Mannes, dem er so vieles verdankte, mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf neben sich sitzen, und er erkannte, dass Vadim bei sich selbst angekommen war. Das hier war keine der vielen Rollen, in die
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