Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)
die modifizierte Kapelle, die Brüder überflogen den Text noch einmal und überlegten, wen sie auf die Konferenzschicken könnten. Grischa hatte Angst zu fahren, sagte, daß er keine Sprachen kann, daß er Angst vorm Fliegen hat und nicht aus dem Büro weg kann, wer soll denn sonst die Faxe annehmen, – fragte er, nein nein, sagte er zu seinem Bruder, – das ist nichts für mich. Sawa wollte auch nicht fahren, vor allem weil er Angst hatte, Grischa das Geschäft zu überlassen. Grischa schlug vor, Zhorik zu schicken, Sawa war einverstanden, – aber höchstens zum Teufel. – Und was ist mit Vater Lukitsch? – fragte Sawa. – Nee, – antwortete Grischa nachdenklich, – nee, das geht nicht – Lukitsch ist auf Bewährung raus, der darf das Land nicht verlassen. Nee ... – Wart mal, – sagte plötzlich Sawa, – laß uns Iwan schicken. – Ja, genau, – freuten sich die Brüder, warum haben wir da nicht gleich dran gedacht, klar, wir schicken Iwan. – Und sie riefen ihre Schwester an.
Ihre Schwester, Tamara Oschwanz, war Grischas leibliche Schwester, aber sie bezeichnete auch Sawa als ihren Bruder, was die beiden übrigens seinerzeit nicht daran gehindert hatte, miteinander ins Bett zu gehen. In jungen Jahren hatte Tamara einen Luftwaffenleutnant geheiratet, der Herkunft nach Ossete. Von diesem Osseten hatte sie ihren Sohn Iwan. Mit dem Beginn des ersten Tschetschenienkriegs packte es den Luftwaffenmann plötzlich, er sagte, nun sei die Zeit endlich gekommen, er werde nach Grosny fahren, um die unabhängige Itschkerische Luftwaffe aufzubauen. – Der Kaukasus erwacht! – schrie er drohend vom Balkon hinunter und schüttelte die Fäuste in Richtung Fernsehturm. Er kam allerdings nur bis Rostow, wo er in der Gegend des Flughafens als illegaler Taxifahrer die Leute abzockte. Tamara zog ihren Sohn allein groß, arbeitete im Hotel »Charkiw«,im alten Gebäudeteil, wo sie eine Etage leitete und vor allem für die Hotelprostituierten verantwortlich war. Sie selbst durfte nicht als Prostituierte arbeiten, wohl wegen ihres Nachnamens. Tamara liebte ihre Brüder, und ihr Sohn studierte schon drei Jahre Soziologie. Die Brüder riefen Tamara an, – Schwesterchen, – sagten sie, – du wolltest doch, daß wir was für den Kleinen tun, wir haben gute Arbeit für ihn. Internationale Beziehungen. Kommunaler Sektor. – Gut, – sagte Tamara, – ich schick ihn euch. Aber diesmal bitte keine Drogen. Iwan hatte Angst vor Onkel Sawa und noch mehr vor Onkel Grischa, aber er folgte seiner Mutter und kam zu den Brüdern ins Büro, wobei er einen furchtsamen Bogen um die im Korridor aufgestapelten frisch gezimmerten Särge machte. – Iwan, – begann Sawa in geschäftsmäßigem Ton, – willst du nach Budapest? – Beim Wort Budapest kriegte Iwan einen Ständer. – Ja, – sagte er, – was muß ich machen? – Kleiner, – bellte Grischa von seinem Platz aus, – hör einfach zu, Kleiner. – Warte doch, – unterbrach ihn Sawa, – du sollst auf einer Konferenz über Ökumene auftreten. – Weißt du wenigstens, was das ist, Ökumene?!! – bellte Grischa wieder. – Weiß ich, – antwortete Iwan ängstlich, – wir hatten ein Seminar zu Public Relations, da ging es um Ökumene ... – Kleiner, Kleiner, – Grischa schüttelte nur den Kopf. – Also gut, – schloß Sawa und fiel seinem Bruder in den Arm, – hier auf der CD ist unsere Präsentation, hier hast du ein Exemplar der Übersetzung, das ZWEITE Exemplar behalte ich, hier sind hundert Grüne, schnell aufs Paßamt, sag, daß du von der Kommunalverwaltung kommst, du wirst erwartet, laß dir einen Paß machen, kauf ein Ticket, übermorgen ist dein Auftritt. – Onkel Grischa ließ drohend sein Gebiß klappern.
Und das ist, was weiter geschah.
In neuem Anzug, neuen Schuhen und einem neuen Mantel, in der ledernen Pilotenkappe seines Vaters, Plaste-Aktenkoffer in der Hand, stieg der junge Ökumene-Vertreter Iwan Oschwanz ins Flugzeug, machte es sich bequem und bestellte einen Scotch. Die Stewardeß, die ihre professionelle Abneigung nur schlecht verbergen konnte, servierte ihm statt dessen eine Limo. Iwan kriegte sofort schlechte Laune. – Hey, Kumpel, – wandte sich plötzlich sein Nachbar an ihn, – willste mal? – Der Nachbar lächelte, auch er trug einen Anzug und ein grellgrünes Hemd. Iwan dachte, daß genau solche Typen in Büchern als »freundliches Mondgesicht« bezeichnet werden, und nickte zustimmend. Der junge Mann holte eine 0,75-Liter-Flasche
Weitere Kostenlose Bücher