Hypnose
von ihr lag.
Aus dem Augenwinkel sah Inka, wie Herta taumelte und sich am Fenstersims festhielt. Inka war dadurch nur kurz abgelenkt, aber es reichte, dass sie den Druck auf Brunners Hals verminderte und sein Ellenbogen sie im Magen traf. Der Schlag war so heftig, dass Inka keine Luft mehr bekam. Sie war wie gelähmt, dadurch hatte Brunner leichtes Spiel und setzte ihr das Fleischermesser an den Hals.
Inka begriff endgültig, dass es einen ehrenwerten, vorbildhaften Brunner nie gegeben hatte. Sie hatte immer nur das Bild des Menschen gesehen, das er für seine Umwelt geschaffen hatte. In seine Seele aber hatte er nie jemanden blicken lassen. Er war schon immer ein Chamäleon gewesen – Brinkhus hatte recht gehabt –, ein Hochstapler, ein Kranker, ein Irrer.
»Deck den Tisch«, befahl Brunner seiner Haushälterin, »und trag das Essen auf.«
»Es ist … nicht fertig. Die Bohnen … zu früh … Entschuldigung …«, stammelte die kreidebleiche Herta und versenkte ihre Hände in den Taschen der Kittelschürze.
»Dein Fehler! Dann nimm welche aus der Dose. Und schenk den Sekt ein! Wir haben etwas zu feiern. Bis du das Essen auf dem Tisch hast, gehe ich mit Inka nach oben. – Komm schon, Inka, ich habe eine Überraschung für dich. Komm mit!«
Inka wollte keinesfalls Jonas aus den Augen lassen und bewegte sich keinen Zentimeter von der Stelle. Die Klinge an ihrem Hals drückte ihr ins Fleisch.
»Du wirst dich freuen. Ehrlich.«
Ihr blieb keine Wahl. Mit der Messerklinge im Rücken zwang Brunner sie die Treppen hinauf. Im Schlafzimmer schloss er die Türe hinter ihnen ab und steckte den Schlüssel in die Innentasche seines Anzugs.
Mit vorgehaltenem Messer dirigierte er sie Richtung Bett. Sie folgte seinem Blick auf das Brautkleid.
»Du hast Margittas schmale Figur«, sagte Brunner. »Es sollte dir passen.«
»Ich … ich soll das Kleid anziehen?«
»Meine Margitta und ich …«, sagte Brunner versonnen, »wir haben uns in den Achtundsechzigern kennen gelernt und lebten ohne Trauschein zusammen. Doch als sie mit unserem dritten Kind, unserem Sohn, schwanger war, habe ich ihr einen Heiratsantrag gemacht. Margitta hatte das Kleid schon für die kirchliche Hochzeit, die nach der Geburt sein sollte, ausgesucht. Sie konnte es nur nie tragen.«
»Soll … soll ich etwa ihren Platz einnehmen?« Inka war völlig perplex. »Kommen Sie zur Vernunft! Und mal ganz abgesehen davon bin ich bereits verheiratet …«
»Es wird keinen Antrag geben, und du wirst mitmachen«, sagte er. »Es gibt keine andere Antwort als Ja. Ich meine es absolut ernst. Du siehst meiner Margitta so ähnlich. Meine Kinder kommen mehr nach mir, aber als ich dich nach Jahren in der Klinik das erste Mal wiedergesehen habe, ist mir das aufgefallen. Schon als Kind warst du wie eine dritte Tochter für mich, ich habe dich immer so behandelt – und jetzt wirst du meine Frau. Seit Margittas Tod hatte ich keine andere Frau. Nun werde ich wieder eine Familie haben und endlich auch einen Sohn. Durch dich ist er auf die Welt gekommen, und du lebst. Und jetzt werden wir glücklich miteinander.«
Ekel stieg in ihr auf. Es war ein solcher Widerwillen gegen die Bedrängnis, dass ihr regelrecht schlecht wurde. Und sie bekam Angst vor seinem Irrsinn, mehr noch als durch die Bedrohung mit dem Messer. »Hören Sie auf damit! Ich lasse mich nicht zwingen …«
Brunner stach ein wenig mit dem Messer zwischen ihre Rippen, dass sie aufschrie. Mit sanfter Stimme flüsterte er ihr ins Ohr: »Wer hat dir deinen Sohn zurückgebracht? Du solltest ein bisschen dankbarer sein.«
»Sie sind doch krank!«
»Oh nein«, sagte er. »Ich bin so gesund, wie man nur sein kann in meinem Alter, und voller Pläne. Ich habe Walter umbringen lassen, auch Jannis’ Tod geht auf mein Konto. Das wolltest du doch wissen, nicht wahr?«
»Sie haben Ihre Töchter zu Verbrechen gezwungen! Zu Morden!« Die Worte schossen nur so aus ihr heraus, auch wenn sie kaum daran glaubte, Brunner zu einer inneren Einsicht bewegen zu können.
Tatsächlich jedoch bewies er mit einem herablassenden Lächeln nur seine Egozentrik. »Irrtum, meine Schöne. Ich habe niemanden gezwungen. Ich habe Annabel lediglich unter Hypnose das mögliche Szenario vor Augen geführt, dass Jannis dir das Baby zurückgeben will und sie wieder ohne Kind sein wird. Annabel hätte niemals zugelassen, dass man ihr das Baby wieder wegnimmt. Nur über meine Leiche , hat sie unter Hypnose gesagt. Und ich habe ihr eingeimpft, dass
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