Hypnose
Andi. »Eine Dauerbewachung des Hauses erfordert eine Ablösung der Beamten rund um die Uhr – angesichts der Personalknappheit ist das immer schwierig aufzustellen. Vereinzelte Kontrollfahrten ließen sich da schon leichter umsetzen. Zu bedenken ist aber, dass der Täter uns höchstwahrscheinlich beobachten wird und sich ausrechnen kann, wann wieder für eine Weile Ruhe ums Haus ist. Ich könnte mir eher vorstellen, dich in einem Hotel oder einer Wohnung mit geheimer Adresse unterzubringen. Das hängt alles davon ab, wie lange wir diese Maßnahme fahren müssten. Ich hab’ den Eindruck, dass wir es hier mit einem Täter zu tun haben, der einen langen Atem hat und genau seinen nächsten Schritt überlegt. Aber egal wie, wir müssen dich aus der Gefahrenzone bringen.«
Gefahrenzone , hallte das Wort wie ein Echo in ihrem Kopf nach. Das hier war ihre Wohnung, ihr Zuhause, aber wenn sie ganz ehrlich war, hatte sie sich dort schon länger nicht mehr sicher gefühlt. »Ich will in kein Hotel, Andi.«
»Gibt es sonscht einen Ort, wo du in Sicherheit wärst?«
Inka dachte nach. Sie wollte in Stuttgart bleiben. Nur wer hätte genug Platz, sie eine Weile bei sich aufzunehmen? Und wer würde die Verantwortung für sie ein Stück weit übernehmen? Rebecca. Die Einliegerwohnung in der Villa stand schon seit Jahren leer, weil ihre Eltern den Ärger mit den Mietern satthatten und nicht auf eine monatliche Zahlung angewiesen waren. Vielleicht könnte sie dort eine begrenzte Zeit lang unterkommen. Auf dem Grundstück gab es sogar Überwachungskameras.
Als sie Andi ihre Idee mitteilte, verzog er einen Mundwinkel. »Hm, wenn der Täter deine privaten Verhältnisse gut kennt, und davon gehe ich aus, dann ist der Platz natürlich nur bedingt sicher. Andererseits ist die vorhandene Videoüberwachung ein gewichtiges Argument. Mal sehen, was Peter dazu sagt.«
Es klingelte an der Haustür.
»Kann das schon Hagedorn sein?«, fragte Andi und schaute auf die Uhr.
Inkas Herzschlag beschleunigte sich wieder. »Vielleicht ist es Peter. Er hat seinen Hausschlüssel vergessen.«
»Na, vielleicht isch er das tatsächlich aufs Stichwort. Ich geh schon.«
Inka hörte Schritte im Flur. Dann erschien Andi wieder im Wohnzimmer, gefolgt von Hagedorn.
»Guten Tag, Frau Mayer, was ist denn vorgefallen?«, fragte sie der Rechtsmediziner und schob sich seine Brille auf der Nase zurück. »Wie geht es Ihnen jetzt?«
Noch einmal musste Inka alles erzählen, was ihr wider fahren war. Wie bittere Galle schmeckte jedes Wort auf ihrer Zunge. Sie musste häufig schlucken und unterbrach sich dadurch selbst in ihrem Redefluss. Sie fing wieder an zu zittern und wünschte sich nichts sehnlicher, als sich irgendwo in einer warmen Höhle verkriechen zu dürfen. Weit, weit weg. Jeden Morgen beim Duschen, beim Anziehen, bei jedem Toilettengang, wenn ihr Blick auf ihren Körper fiel, würde sie an den Überfall denken müssen, an ihren potenziellen Mörder. Würde sie überhaupt noch eine einzige Minute frei von Angst sein können?
Hagedorn hatte sich ihren Bericht aufmerksam angehört. Dann sagte er: »Die weiteren Untersuchungen lassen sich nicht vor Ort durchführen, aber ich würde mir gerne ein erstes Bild machen, wenn Sie erlauben.«
Ob sich der Aufwand für ihn überhaupt lohnt? , dachte Inka. Er musste sie nach dem Vorfall in seinem Institut für verrückt halten. Und als hätte sie es heraufbeschworen, sagte er: »Möglicherweise hatten Sie neulich eine Halluzination …«
Inka wollte ihm gerade widersprechen und noch einmal betonen, dass sie schließlich verletzt war, doch er hob beschwichtigend die Hand und sprach weiter: »Eine hypnagoge Halluzination«, konkretisierte er. »Das sind akustische oder optische Sinnestäuschungen, hervorgerufen durch die Nebenwirkungen eines Narkosemittels im Zustand des Halbschlafes. Das hat keineswegs etwas mit psychischer Krankheit zu tun.«
»Du denkscht also«, sagte Andi an seinen Freund Hagedorn gewandt, »dass der Täter Inka beim Überfall die Betäubung setzte und die halluzigene Nebenwirkung mit einkalkulierte, um erschwert identifizierbar zu sein?«
Hagedorn nickte. »So könnte es gewesen sein. Mit Sicherheit kann ich im Moment nur die Einstichstelle am Hals von Frau Mayer ausmachen, wegen des winzigen Bluttröpfchens, das sich dort gebildet hat. Aufgrund der physischen Nachwirkungen, unter denen Frau Mayer momentan noch leidet, habe ich ein ganz bestimmtes Narkotikum in Verdacht.«
»Wie willst du
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