Hypnose
sieht die Welt schon anders aus, wirst sehen«, tröstete Andi. »Ist besser so.«
Aber da war Inka sich nicht so sicher.
Andi verließ den Stuttgarter Kessel und bog zum Asemwald ab. Als Kind hatte Inka sich unter dieser Adresse immer Hexenhäuschen verstreut im Wald vorgestellt – in Wahrheit handelte es sich um drei weithin sichtbare, gigantische Hochhausblöcke inmitten einer idyllischen Landschaft aus Wiesen und Wäldern auf der Filderhochebene. Mit diversen Kindergärten, einer Kirchengemeinde, Freizeiteinrichtungen und Ladengeschäften hatte sich der Asemwald in den letzten vierzig Jahren allen Unkenrufen und harscher Pressekritik zum Trotz zu einem exklusiven Wohnkosmos für knapp zweitausend Menschen entwickelt. Und in einer dieser modernisierten und begehrten Hochhauswohnungen lebte Andi.
Inka hasste es, mit dem Aufzug zu fahren. Es erschien ihr jedoch als das kleinere Übel, als in der Tiefgarage im Auto zu warten. Nach langen Sekunden stiegen sie im neunzehnten Stockwerk aus.
Als Inka die große Zweieinhalbzimmerwohnung betrat, entschuldigte sich Andi unentwegt, weil nicht aufgeräumt sei, und beförderte einen Turnschuh, den sich der Kater offensichtlich als Spielzeug geschnappt hatte, mit einem Kick von der Mitte des Flurs zurück an den Garderobenplatz. Dort stand der mit schwarzem Samt bezogene Korpus einer Schaufensterpuppe, der Andi seine Jeansjacke übergehängt hatte.
»Das einzig Weibliche in dieser Wohnung«, sagte Andi, als er Inkas Blick bemerkte, »und genauso kopflos wie ich manchmal.«
Inka lächelte und folgte ihm ins Wohnzimmer. Gemütlich altmodisch , war ihr erster Gedanke, als sie über die Schwelle trat. Kiefernholzmöbel, wie in ihrer Jugend- und Studienzeit. Und Teppichboden. Wie lange hatte sie schon keinen flauschig weichen Teppichboden mehr unter den Füßen gehabt? Wenn Andi diese Wohnung »unordentlich« nannte, dann hatte er noch nicht das Chaos gesehen, das Peter hinterlassen konnte.
Vor der breiten Fensterfront stand ein weinroter Ohrensessel mit Leselampe, in greifbarer Nähe ein Regal voller Bücher. An der Wand gegenüber des Röhrenfernsehers stand eine Couch mit rotem Stoffüberwurf, in deren Polstern man versinken konnte. Auf der Fensterbank entdeckte sie eines dieser kleinen Glashäuser, die sie früher auch besessen hatte. Darin war ein Kaktus mit üppiger roter Blüte. Sie liebte Kakteen. Etwas anderes als Wüstenpflanzen gediehen bei ihrem nachlässigen Gießverhalten ohnehin nicht. Die weißen Vorhänge an dicken Holzstangen rundeten das etwas altmodische, aber sehr heimelige Bild ab. Der Ausblick auf die in der letzten Dämmerung daliegende Filderhochebene war gigantisch.
Dennoch, ein komisches Gefühl machte sich in ihr breit, als sie sich umsah. Sie war nicht ängstlich, ihr war eher merkwürdig zumute. Warum nur? Die Einrichtung gefiel ihr. Alles vertraute Gegenstände aus den Achtzigern. Geh der Sache auf den Grund , sagte ihr das merkwürdige Gefühl, und ihr Blick fiel vom Glashaus auf der Fensterbank zu dem Bild über dem Fernseher. Die Treppenstufen von M.C. Escher, einer ihrer Lieblingskünstler. Diesen Druck mit gelungenen optischen Täuschungen hatte sie auch einmal besessen, selbst der silberne Rahmen sah so ähnlich aus wie der, den sie einst auf dem Flohmarkt für ihre Studentenbude erstanden hatte. Oder war es etwa dasselbe Bild?
»Andi, ich habe da mal eine seltsame Frage. Kann es sein, dass ein Teil dieser Sachen hier früher mir gehört hat?«
Er wurde verlegen. »Ähm … ja. Ich … Du weißt ja, dass mir alte Sachen gefallen. Und Peter wollte so einiges bei eurer Renovierung auf den Sperrmüll werfen. Es tut mir leid, ich hätte dich ja gefragt, ob du nichts dagegen hast, aber du lagst nur im Schlafzimmer und hast an die Decke gestarrt. Dir war alles egal, was um dich herum passierte. Und ich … Na ja, mir war es nicht egal, dass die Sachen auf dem Sperrmüll landen, auch weil ich wusste, wie sehr du im Grunde daran hängst.«
Es wurde ihr warm ums Herz. Andi war doch wirklich ein lieber Kerl. Aber vielleicht stimmte es auch, was Peter einmal im Streit zu ihr gesagt hatte: dass er ein kleines bisschen verliebt in sie war. Wenn dies stimmte, dann war sie sich allerdings sicher, dass er sich nicht deswegen mit ihren Sachen umgab, da die Liebe unerfüllt blieb, sondern weil die Sachen einfach auch seinen Geschmack trafen.
»Ich freue mich, Andi, dass die Sachen bei dir gelandet sind, und ich muss zugeben, ich fühle mich bei dir
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