Hypnose
Walnüssen Sahne und streckte sie mit Milch und Weißwein, würzte mit Salz und Pfeffer aus der Mühle, gab frischen Thymian und Salbei dazu und rieb noch etwas Muskat hinein.
»Parmesan?«, fragte er und holte die Reibe aus dem Küchenschrank.
Sie nickte lächelnd. Es tat gut, einfach nur dazustehen und sich bekochen zu lassen. Andi hatte recht: Die Höhenlage dieser Wohnung half tatsächlich, Abstand zu gewinnen.
Derweil tapste der satt gefressene und sich das Maul schleckende Kater an ihr vorbei und setzte sich vor die Balkontür.
»Garfield will noch ein bisschen unter Palmen in der warmen Blumentopferde chillen«, übersetzte Andi. »Lass ihn ruhig raus! – Wein oder Sprudel?«
»Wasser ist gut, alles andere würde mich jetzt um hauen.«
»Okay, ich muss ja auch noch fahren.«
Inka öffnete den Balkon, und tatsächlich ging der Kater, ohne sie eines Blickes zu würdigen, zielstrebig zur großen Palme in der Nische. Dort machte er es sich im Topf bequem und schleckte sich die Pfote.
Sie schmunzelte noch über ihn, als sie neben der Balkontür ein kleines Bild an dem schmalen Wandstreifen entdeckte. Die gerahmte Fotographie einer jungen Frau, die lachend auf einer Wippe saß. Den Auslöser hatte wahrscheinlich Andi gedrückt, als er auf der anderen Seite saß und sie da oben versauern lassen wollte … Zeigte das Bild seine verstorbene Verlobte?
Andi kam ins Wohnzimmer, um den Tisch zu decken. »Das war meine Freundin«, sagte er unaufgefordert, als er ihren Blick bemerkte. »Ich hab das Foto nach ihrem Tod neben die Balkontür gehängt, damit sie mich davon abhält zu springen. Yvonne würd’ mich mit einem Tritt in den Hintern wieder auf die Erde befördern, wenn ich mir erlauben würde, vorzeitig auf ihrer Wolke aufzutauchen. Hat ja auch recht. Das habe ich in den letzten zehn Jahren begriffen, trotzdem hängt das Bild noch an derselben Stelle. Selbst wenn mir der Stress im Job manchmal zu viel wird – mir den irdischen Wahnsinn von da oben aus anschauen zu müssen und nicht mitmischen zu können, würd’ mir auf Dauer auch zu langweilig werden. Trotzdem vermisse ich meine beiden Engel natürlich.«
Inka schaute sich das Foto noch einmal genau an. Die Frau war ein ganz anderer Typ als sie. Dunkle lange Haare, Pferdeschwanz. Über ihr sportliches blaues Oberteil trug sie ein luftiges Tuch wie einen Schal geknotet.
Dann erst begriff sie, was Andi soeben gesagt hatte. »Wie meinst du das, deine beiden ?«
»Yvonne war schwanger. Der Typ, der die rote Ampel überfahren hat und in uns reingerast ist, hat nicht nur meine Freundin, sondern auch unser Baby umgebracht.«
Ein heißer Schmerz durchfuhr sie. Ich verstehe dich, dachte sie, ich kann es dir so gut nachfühlen. Trotzdem rang sie um Worte. Doch Andi schien zu wissen, dass es dafür keine wirklich passenden gab.
»Du musst nix sagen, Inka. Wir wissen beide, wie es ist. Ich hatte mein Kind zwar nicht im Bauch so wie du, aber ich habe es auch verloren, bevor ich es nur einmal in die Arme schließen durfte. Und nicht nur das. Wir waren zu einem Restaurant unterwegs, um letzte Absprachen zu treffen. Am nächsten Tag wäre unser Termin für die standesamtliche Hochzeit gewesen.«
Was für ein Schicksal , dachte sie, die Verlobte und das ungeborene Kind von einem Moment auf den anderen zu verlieren. Aus dem Leben gerissen von einem Menschen, der eine Sekunde lang unachtsam gewesen war.
»Was war mit dem Fahrer, der den Unfall verursachte? Hat er überlebt?«
»Ja. Und er ist sogar mit geringen Verletzungen davongekommen.«
»Ist er verurteilt worden?«
Andi schüttelte den Kopf. »Nein. Dieses Raser-Arschloch hat den demolierten Wagen einfach stehen gelassen und ist zu Fuß geflüchtet. Es war dunkel, aber im Licht der Kreuzung habe ich ihn noch gesehen, als ich mich aus dem Auto befreit habe. Helle Haare, eine Kopfwunde, eher der schmächtige Typ. Danach bin ich durch den Schock zusammengeklappt. Meine Beschreibung hat nicht ausgereicht, den Typen zu kriegen. Das Auto war gestohlen, falsches Kennzeichen, und er ist in keinem Krankenhaus aufgetaucht. Im Traum habe ich ihn oft vor mir gesehen und mir vorgestellt, wie ich ihn eiskalt umlege. Vielleicht besser so, dass ich ihm nie begegnet bin, denn das hätte Yvonne und mein Baby auch nicht wieder lebendig gemacht …«
Nach einem Moment des Schweigens fragte Inka: »Gehst du manchmal an ihr Grab?«
»Nach der Beerdigung habe ich es bestimmt ein halbes Jahr lang nicht fertiggebracht. Die Jahre
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