I love you, honey
bemüht sich Kamal redlich, sein Versprechen einzuhalten und versucht es, in die Tat umzusetzen: Er kauft sich Turnschuhe, joggt zweimal am Tag und verbringt mehr Zeit mit mir. Von seinen Freunden hält er sich fern. Er erscheint pünktlich im Café und arbeitet bis spätabends. Außerdem hält er sich viel in der frischen Luft auf und verrichtet die Gartenarbeit.
Dieses Programm hä lt er genau drei Tage durch. Am vierten Tag, gegen Abend spüre ich seine Unruhe. Er kann sich nicht beschäftigen, schaltet ständig durch die Fernsehprogramme und läuft ruhelos umher. Es ist wieder soweit, denke ich. Ich fühle mich ohnmächtig und bin gleichzeitig wütend. Ohnmächtig, weil ich weiß, dass ich ihn nicht zurückhalten kann und wütend, dass er nach dem vielversprechenden Anfang einfach so aufgibt.
Als ich merke, dass er aufbrechen will, um seine Freunde zu treffen, versuche ich ihn zum Bleiben zu überreden: ,,Geh nicht, wir können am Strand spazieren gehen oder etwas unternehmen. Nur bitte, treffe nicht deine Freunde zum Weintrinken!“ Er wiegelt ab: ,,I `ll not drink.“ Er nimmt sich vor nichts zu trinken, aber ich weiß, wie schwer es ihm fällt, sich dem Einfluss seiner Freunde zu entziehen. Er umarmt mich und ich muss ihn ziehen lassen.
Viele Stunden später kommt Kamal zurück. Er ist seinem Vorsatz nicht treu geblieben und hat sogar noch eine Flasche Wein mitgebracht. Ich bin enttäuscht, obwohl ich damit gerechnet habe. Als ich ihn betrachte, fällt mir auf, dass sein lin kes Auge blau angeschwollen und sein Sweatshirt zerrissen ist. Ich frage ihn, was passiert ist. Er erzählt mir, dass er Streit mit seinen Freunden gehabt hat. Schließlich ist es zu einer Schlägerei gekommen und jemand hat ein Messer gezogen. Er bekam Angst und ist schnell zu mir gekommen. Jetzt setzt sich in den Garten, holt sich das Fischradio und ein Glas für den Wein. Das wird wieder eine von diesen endlosen Nächten, ahne ich. Kamal ist ziemlich durcheinander und ich rede beruhigend auf ihn ein. Ich versuche ihn zu überzeugen, dass er seine nächtlichen Streifzüge aufgeben soll. Diese Art von Diskussionen hatten wir schon öfter in der vergangenen Zeit, aber sie haben nie gefruchtet. Kamal ist jetzt müde und ich sehe, wie ihm ab und zu die Augen zufallen. Er sagt, dass er jetzt alleine sein möchte. Ich stehe auf und gehe in die Wohnung, denn ich kann jetzt sowieso nichts mehr für ihn tun. Ich habe Mitleid mit ihm und es tut mir weh, ihn in diesem Zustand zu sehen. In dieser Nacht mache ich kein Auge zu und höre bis zum frühen Morgen leise Musik spielen. Mein Kamal, was ist aus dir geworden?
Übermüdet und ausgebra nnt stehe ich auf. Ich muss aber zum deutschen Konsulat in Rabat fahren, um einige Formalitäten zu erledigen. Schlecht gelaunt packe ich die notwendigen Papiere zusammen und mache mich auf den Weg. Kamal ist nicht mehr im Garten, aber es ist alles aufgeräumt. Ich weiß nicht, wo er jetzt ist. Vielleicht in seinem Familienhaus, um dort auszuschlafen. Zum Glück arbeitet heute die Aushilfe im Café.
Bei der Behörde verläuft alles reibungslos und nachdem ich das Konsulat verlassen habe, begebe ich mich zu einem Supermarkt, der sich wenige Straßen entfernt befindet. Ich habe eine Einkaufstasche dabei und nehme mir vor, gut auf sie aufzupassen. Rasch laufe ich an den Regalen entlang und lege in den Korb die notwendigen Lebensmittel für die nächsten Tage: Konserven mit Kichererbsen und Linsen, Brot, Käse, Bananen und Aprikosen. Hier im Supermarkt gibt es eine größere Auswahl als in den kleinen Läden und deshalb gehe ich gerne ab und zu hierher, um Besorgungen zu machen. Schließlich habe ich meinen Einkauf beendet und laufe ein paar Meter zum Taxistand vor der Medina. Am ,,Cinema Nasser“ steige ich aus und bin froh, in wenigen Minuten zu Hause zu sein. Es ist ein regnerischer Tag und nur wenige Menschen sind auf den Straßen. Ich habe schon fast den Weg, der zu meiner Wohnung führt, erreicht, als ich merke, dass jemand hinter mir her läuft. Es ist eine zwielichtige Gestalt in zerrissener Kleidung mit einem Sack über dem Rücken. Ich wechsele den Bürgersteig und sehe mich um, denn durch den letzten Überfall bin ich sehr vorsichtig geworden. Der Mann geht aber auf der anderen Straßenseite weiter und hat mich schon überholt. Falscher Alarm, denke ich. Plötzlich aber dreht er sich um, überquert die Straße und kommt mir entgegen. Ich ahne Schlimmes! Wir befinden uns in einer schmalen
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