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Iacobus

Iacobus

Titel: Iacobus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matilde Asensi
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aufgenommen wurden. Der Kleriker war ein schwatzhafter alter Mann, der gern den Abenteuern all derjenigen lauschte, die zu ihm kamen. Er stellte übermäßig große Portionen auf den Tisch und bot sich an, uns die Kirche und das Grab des Heiligen zu zeigen, sobald wir fertig gegessen hätten.
    »San Juan de Ortega hieß mit weltlichem Namen Juan de Quintanaortuño. Er wurde um das Jahr 1080 geboren«, erklärte er Jonas und mir, während wir über das freie Feld zum Doppelportal der Kirche schritten. Sara, die sich unserem christlichen Eifer gegenüber zwar respektvoll, jedoch gleichgültig zeigte, war in der Herberge zurückgeblieben, um sich auszuruhen. »Man hält ihn für einen einfachen Schüler von Santo Domingo de la Calzada, der weitaus berühmter ist, weil er mit einer gewöhnlichen Axt den Wald von Nájera bis Redecilla gefällt hat, um dieses Teilstück des Jakobswegs zu bauen.« Sein Tonfall zeigte, daß die Heldentat des heiligen Domingo für ihn nichts Besonderes war. »Aber Juan de Quintanaortuño war wesentlich mehr als nur sein Mitarbeiter: Juan de Quintanaortuño war der wirkliche Baumeister des Jakobswegs, denn selbst wenn der heilige Domingo einen Wald fällte, die Brücke über den Río Oja, eine Kirche und ein Pilgerhospiz errichtete, so baute San Juan de Ortega die Brücke von Logroño, erneuerte jene über den Río Najerilla und errichtete das Hospital de Santiago jener Stadt ebenso wie hier diese Kirche und dieses Hospiz für die Jakobspilger.«
    Wir hatten jetzt die kleine Kirche betreten, die von dem Licht, das durch die hellen Fenster schimmerte, sanft beleuchtet wurde. Das betäubende Summen der Fliegen, die über dem Mittelschiff ihre Kreise zogen, übertönte die Stimme des Priesters. Die reich geschmückte, steinerne Tumba stand gegenüber dem Altar. Der Mönch zog uns zur Seite.
    »Hier kommen oft kinderlose Paare her«, fuhr er fort, »San Juans Beliebtheit rührt vor allem von den Wundern, die er vollbrachte, um den Frauen ihre Fruchtbarkeit zurückzugeben. Das ist vor allem dieser verflixten Verzierung in der linken Apsis zu verdanken.« Und er zeigte auf das Kapitell über unseren Köpfen, auf dem die Szene von Maria Empfängnis zu sehen war. »Aber ich denke, daß unser Heiliger einen besseren Ruf verdient hat, deshalb stelle ich gerade seine zahlreichen Wunder zusammen, wie die Heilung von Kranken und die Auferweckung von Toten.«
    »Er erweckte Tote?«
    »Oh, ja sicher! San Juan gab mehr als einem armen Verstorbenen das Leben zurück.«
    War es Zufall? Ich glaube kaum, denn schon lange habe ich aufgehört, an Zufälle zu glauben: Im Laufe unserer Unterhaltung fiel plötzlich ein Lichtstrahl durch den mittleren Spitzbogen der Vierung auf den Kopf des Engels, der Maria ihre künftige Mutterschaft verkündete. Verzaubert blieb ich stehen.
    »Das ist hübsch, ja«, sagte der Alte, als er meine Unaufmerksamkeit bemerkte, »aber mir gefällt das andere besser, das auf der rechten Seite.«
    Und er führte uns dorthin, ohne viel Rücksicht auf uns zu nehmen. Jonas folgte ihm wie ein Hündchen und umrundete die Tumba ähnlich schnell wie unser Mentor. Das Kapitell der Säule der rechten Apsis zeigte einen Ritter mit erhobenem Schwert, der sich einem reitenden Krieger stellte. Mich brachte allerdings noch immer das Licht, das den Engel anstrahlte, durcheinander. Ein Gedanke schoß mir durch den Kopf. Ich drehte mich um und ging zurück. Das Licht strahlte nun Maria an. Wenn das Licht so weiterwanderte, würde es schließlich die Figur eines Alten, vermutlich die Figur des heiligen Josef, erhellen, der das ganze Gewicht seines Alters auf einen Pilgerstab in Form eines Tau stützte …
    Ego sum Lux … Plötzlich bekam alles einen Sinn.
    Die Raffinesse der Templer, ihr Gold zu verbergen, war unglaublich. Sie hatten ihre Schätze so ausgezeichnet versteckt, daß wir ohne die Botschaft von Manrique de Mendoza nie auch nur eines der Verstecke gefunden hätten. Der Schlüssel war das Tau, aber das Tau war nur der Blickfang, ein Hinweis für den Initiierten; danach mußte man die Spuren aufdecken, die wie die einzelnen Teile eines Artefakts ineinander verzahnt waren, um zu funktionieren. Ich fragte mich, ob das Tau nur einer von vielen möglichen Wegen war, ob nicht auch noch andere Lockvögel existierten wie beispielsweise das Beta oder das Pi, oder vielleicht ja auch das Sternbild des Steinbocks oder der Zwillinge. Die unzähligen Möglichkeiten machten mich schwindlig. In diesem Augenblick

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