Iacobus
ihre Patronin und Meisterin nicht verlieren wollte, »benutzen viele ihrer alten Formeln für unsere Magie.«
Wir waren dem Ursprung der Lichtquelle nun sehr nahe gekommen, und schwerlich würden wir das Bild vergessen, das sich vor unseren Augen auftat: Beleuchtet von Hunderten von Fackeln, die von den am Antoniusfeuer Leidenden getragen wurden, erhob sich vor uns furchterregend ein seltsam anmutender, hoher Bau, der sich in der dunklen Nacht verlor; er war mit Turmhelmen, Spitztürmchen und Giebeln geradezu überladen und schien eher dazu geeignet, Menschenseelen zu erschrecken denn Geister zu beschwören. Einige der Kranken, das heißt, eigentlich die meisten, schleppten sich zu Fuß mit mehr oder weniger großen Schwierigkeiten dahin, gestützt auf einen Pilgerstab, andere hingegen konnten sich nur mit Hilfe von Angehörigen fortbewegen, die sie auf den Schultern oder auf Bahren trugen. Was wir aus der Ferne erblickt hatten, war ein unendlicher Feuerstrom, der, angetrieben von einer geheimnisvollen Kraft, langsam um das Kloster herumführte. Indessen war das Seltsamste daran, daß durch die hohen und schmalen Fenster des Klosters ein merkwürdiges blaues Licht schimmerte, das sicherlich vom Fensterglas herrührte. Auf alle Fälle war die Wirkung grauenerregend, was auch immer jenen Glanz hervorrief.
Der Jakobsweg, auf dem sich all die Kranken drängten, führte unter einem Bogen hindurch, welcher die Klosterpforte mit einigen gegenüberliegenden Vorratskammern verband, und dort, oben auf den Freitreppen, verteilte eine Gruppe Antonitermönche kleine blecherne Medaillen mit dem Symbol des Krückstocks unter der Menge, die wir in den Händen der an uns Vorbeiziehenden betrachten konnten. Ein Mann, welcher der Abt sein mußte, berührte mit seinem Hirtenstab leicht jene, die unter dem Bogen hindurchgingen, während die Mönche zur gleichen Zeit kleinere T-förmige Stäbe schwangen, mit denen sie den Antoniussegen erteilten.
»Wir dürfen uns nicht unter die Aussätzigen mischen«, meinte Sara voll Abscheu.
»Das sind reine Märchen! Ihr solltet wissen, daß ich in all den Jahren meiner Arbeit mit diesen Kranken nie jemanden kennengelernt habe, der sich angesteckt hätte. Selbst ich nicht, um nur ein Beispiel zu nennen.«
»Jedenfalls will ich dort nicht vorbeigehen.«
»Ich vorsichtshalber auch nicht«, flüsterte Jonas.
»Gut, macht Euch keine Sorgen. Das werden wir nicht tun. Mehr noch«, fügte ich hinzu, »wir werden hinter jener Kehre dort unser Lager aufschlagen und die Nacht im Freien verbringen.«
»Aber die Kälte wird uns umbringen! Wir werden erfrieren!«
»Die Kälte ist der kleine Nachteil, doch ich bin überzeugt, daß wir morgen früh noch leben werden.«
Im Schutz eines Felsens fachten wir ein großes Feuer an und ließen uns auf unseren Umhängen davor nieder, um zu Abend zu essen. Aus den Pilgertaschen zogen wir den Proviant, den wir seit Burgos bei uns trugen, und mittels zweier Stöcke und eines Spießes brieten wir einige Stücke Kalbfleisch – gemäß Moses Gesetzen abgehangenes Fleisch –, welches uns Don Samuel für die Reise geschenkt hatte. Wir sprachen nicht viel; die beiden, weil jeder von ihnen wieder seinen Gedanken nachhing, und ich, weil ich darüber nachdachte, wie ich in dieser Nacht in das Antoniterkloster eindringen könnte.
Was mich am meisten beunruhigte, war, einmal abgesehen von Manriques Abfuhr, Saras Freundschaft zu den Templern. Eigentlich wünschte ich mir nichts sehnlicher, als ihr den wahren Grund unserer Pilgerreise zu verraten, so daß Jonas und ich frei agieren konnten, ohne uns verstellen oder mit Nebensächlichkeiten herumschlagen zu müssen. Sara jedoch zu erzählen, was wir gerade trieben, bedeutete, sie in Gefahr zu bringen, weshalb es eigentlich egal war, was ich tat, schlecht bekommen würde uns beides. Jonas' Verhalten half mir auch nicht besonders, eine Entscheidung zu fällen. Irgendwann mußten sich jedoch die Wogen wieder glätten und so groß sein Kummer auch gewesen sein mochte, so war es immerhin das erste Mal, daß er nicht damit drohte, ins Kloster nach Ponç de Riba zurückzugehen, was mir zeigte, daß er, wenn auch schmollend, vorerst bei mir bleiben wollte.
»Jonas«, rief ich ihn.
Als Antwort erhielt ich nur ein Schweigen.
»Jonas!« wiederholte ich. Ich wappnete mich mit Geduld, wenn ich auch meinen wachsenden Ärger nicht verbarg.
»Was wollt Ihr?« brummte er ungnädig.
»Du mußt mir helfen, einen Entschluß zu fassen. Sara
Weitere Kostenlose Bücher