Iacobus
päpstlichen Dokumente war, achtete ich nicht weiter auf ihn.
Nur wenige Stunden nach unserem Aufbruch aus Avignon hielt ich unvermittelt vor einem Weiler namens Roquemaure an.
»Hier bleiben wir«, verkündete ich. »Reite zur Schenke voraus und laß uns ein Mahl zubereiten.«
»Hier?« protestierte Jonas, »aber dieses elende Nest scheint doch überhaupt nicht bewohnt.«
»Das ist es sehr wohl. Frag nach der Schenke von François. Dort werden wir einkehren. Kümmere dich um alles, ich will inzwischen die Umgebung erkunden.«
Ich sah ihm nach, wie er mit zwischen den Schultern eingezogenem Kopf das Dorf betrat und die Pferde hinter sich herzog, die man uns in Avignon für unser Gepäck überlassen hatte und die aufgrund ihrer Größe dort sehr geschätzt und haquenées genannt wurden. Eigentlich war Jonas ein bemerkenswerter Junge; nicht einmal für seinen Stolz konnte er etwas, handelte es sich doch um ein Familienerbe, das sich erst mit der Zeit und den Wechselfällen des Lebens legen würde.
Roquemaure bestand aus gerade einmal fünf bis sechs Häusern von Kleinbauern, die – da der Weg von Avignon nach Paris durch ihr Dorf führte – sich ihren Lebensunterhalt damit verdienten, daß sie die vorbeiziehenden Reisenden verköstigten und beherbergten. Die Nähe zur Stadt verringerte zwar etwas ihre Einnahmen, jedoch munkelte man, daß gerade wegen dieser Lage die Prälaten des Hofes von Avignon häufig dorthin kamen, um sich heimlich mit ihren Geliebten zu treffen, was das Geschäft in Gang hielt.
Nun, in Roquemaure hatte am Morgen des 20. April 1314 auch das Gefolge des bedauernswerten, kranken Papstes Clemens haltgemacht, der zu einer Reise nach seiner Heimatstadt Wilaudraut in der Gascogne aufgebrochen war, um sich von dem zu erholen, was die medizinischen Berichte in meiner ledernen Mappe als ›Attacken unerklärlicher Angst und plötzlich auftretende Schmerzen, begleitet von hartnäckigem Fieber‹ bezeichneten. Die Schwäche des Papstes zwang den Hofstaat dazu, die Reise zu unterbrechen und Obdach in der einzigen offiziellen Schenke des Weilers zu suchen, die François gehörte. Einige Stunden später starb Papst Clemens; er wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt, und aus allen seinen Körperöffnungen strömte das Blut.
Man fügte sich in das Unvermeidliche, und um Gerüchte und peinliches Gerede wegen des üblen Rufs des Dorfes zu verhindern, beschlossen die Kardinäle der Apostolischen Kammer, den Leichnam diskret in das dominikanische Priorat von Avignon zu überführen, wo der Papst seit dem Konzil von Vienne 1311 residiert hatte. Der päpstliche Leibkämmerer, Kardinal Henri de Saint-Valéry, hatte auf das Kreuz geschworen, daß Seine Heiligkeit seit dem Frühstück und dem Aufbruch aus Avignon keinerlei Speis oder Trank mehr zu sich genommen hatte. Seltsamerweise hatte Kardinal Saint-Valéry kurz darauf um seine Versetzung nach Rom gebeten, wo er sich fortan als Vikar um die Überwachung der Steuereinnahmen des Kirchenstaats kümmerte.
Im kleinen, dunklen Schankraum roch es penetrant nach Essen, und er war voller Dämpfe, die aus den Schmortöpfen über der Feuerstelle stiegen. Zwischen den überall aufgestapelten Weinfässern zeigten die Wände schmierige Fettflecken, was nicht gerade eine besonders gute Empfehlung für empfindliche Mägen war. Jonas erwartete mich gelangweilt am einzigen sauberen Tisch des Hauses und spielte mit den Krümeln eines Landbrots, das man ihm schon einmal vor dem Essen gebracht hatte. Ich setzte mich ihm gegenüber und legte meinen Umhang neben mich.
»Was wird man uns auftischen?«
»Fisch. Das ist alles, was sie heute haben.«
»Sehr gut, also Fisch. Und bis sie ihn bringen, haben wir zu reden. Ich weiß, daß du gekränkt bist, und ich möchte das gern klären.«
»Ich habe nichts zu sagen«, stieß er hochmütig hervor, um gleich darauf hinzuzufügen, »Ihr habt dem Prior meines Klosters ein Versprechen gegeben und Euer Wort gebrochen.«
»Wann habe ich dergleichen getan?«
»Neulich, bei unserer Ankunft in Eurer Komturei in Avignon.«
»Aber wenn es doch kein Mauritiuskloster in der Stadt gab! Falls es eines gegeben hätte, Jonas, so hättest du selbstverständlich dort schlafen können. Erinnere dich daran, daß ich dir sagte, du könnest gehen.«
»Ja, schon, aber … aber auch während unserer gesamten Reise von Ponç de Riba bis hierher habt Ihr mich nicht in Klöstern meines Ordens übernachten lassen.«
»Wenn ich mich recht entsinne,
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