Iacobus
hatten wir auf unserer Reise solche Eile, daß wir fast jeden Tag im Freien schlafen mußten.«
»Schon, auch das stimmt …«
»Also, worüber beklagst du dich dann?«
Ich sah, wie er mit sich rang, sich abquälte mit der Suche nach Argumenten und der nicht beweisbaren Gewißheit, daß ich ihn nie wieder ins Kloster zurückkehren ließe. Daß ich seine Hilflosigkeit nur schweigend beobachtete, war jedoch keine Grausamkeit von mir; ich wollte lediglich, daß er einen Weg fand, das logisch zu verteidigen, was nur erste, wenn auch treffende Eindrücke waren, die in seinem Innern darum kämpften, richtig formuliert zu werden.
»Euer Verhalten«, stammelte er schließlich. »Ich beklage mich über Euer Verhalten. Ihr versagt mir die Unterstützung, die ein Lehrmeister seinem Adlatus gewähren sollte, damit dieser seinen Pflichten nachkommt.«
»Welche Pflichten meinst du?«
»Das Gebet, der tägliche Gottesdienst, die Messe …«
»Und ich soll derjenige sein, der dich zu etwas zwingt, was eigentlich aus dir entspringen sollte? Schau, Jonas, niemals werde ich dich daran hindern, diese Aufgaben zu erfüllen; was ich aber sicher nie und nimmer tun werde, ist, dich daran zu erinnern. Wenn es dein Wunsch ist, so komme ihnen nach, und wenn nicht, so bist du alt genug, deine Berufung ernsthaft zu hinterfragen.«
»Aber ich bin nicht frei!« seufzte er jetzt wie das kleine Kind, das er trotz seiner Körpergröße im Grunde genommen noch immer war. »Ich wurde vor dem Kloster ausgesetzt, und mein Schicksal ist es, die heiligen Gelübde abzulegen. So steht es in der Ordensregel des heiligen Mauritius geschrieben.«
»Das weiß ich doch«, bestätigte ich geduldig. »Auch in den Zisterzienserklöstern und anderen kleineren Konventen ist dies üblich. Vergiß aber nie, daß man immer wählen kann. Immer. Dein Leben, seit du dir deiner Taten bewußt bist, setzt sich aus einer Reihe von Entscheidungen zusammen, mal sind sie richtig, mal sind sie falsch. Stell dir vor, du kletterst auf einen hohen Baum hinauf, dessen Spitze du von unten nicht sehen kannst; um jedoch die Krone zu erreichen, mußt du stets die Äste wählen, die dir am geeignetsten dazu erscheinen, die einen wählst du aus, die anderen verwirfst du, was dich dann wiederum vor eine neue Entscheidung stellt. Wenn du dort ankommst, wohin du gelangen wolltest, dann hast du deinen Weg gut gewählt; wenn nicht, so hast du dich an einem bestimmten Punkt geirrt, die falsche Entscheidung getroffen, und deine nachfolgenden Präferenzen wurden alle durch jenen ersten Fehltritt bestimmt.«
»Wißt Ihr, was Ihr da gerade sagt, Bruder?« warnte er mich eingeschüchtert. »Ihr fechtet die Vorbestimmung an, die göttliche Vorsehung, Ihr erhebt den freien Willen über die geheimen Pläne Gottes.«
»Nein. Der einzige, der sich hier gerade erhebt, ist mein hungriger Magen, der bereits wütend sein Recht verlangt. Und denk daran, daß du mich ab jetzt nicht mehr Bruder nennen sollst … Wirt!«
»Was ist?« erklang eine zornige Stimme aus der Küche.
»Kommt der Fisch nun endlich, oder müßt Ihr ihn erst noch im Fluß angeln gehen?«
»Der Herr beliebt zu scherzen, wie?« antwortete der Wirt, der plötzlich hinter dem Tresen erschien. Er war ein beleibter, derb aussehender Mann, der ein schweißbedecktes Doppelkinn und, um sein schmieriges Äußeres noch zu vervollkommnen, eine schmutzige Schürze zur Schau stellte, an der er sich jetzt seine vom Fisch tranigen Hände abwischte, während er an unseren Tisch trat. Das Provenzalische, dessen er sich bediente, glich meiner katalanischen Muttersprache sehr. Dank der starken Ähnlichkeit zwischen den romanischen Sprachen hätten wir uns aber auch so ohne große Schwierigkeiten verständigen können.
»Wir haben Hunger, Wirt. Aber ich sehe schon, Ihr seid mitten bei der Arbeit, und zu meinem eigenen Wohl will ich Euch nicht dabei stören.«
»Nun, das habt Ihr bereits getan!« erklärte er schlechtgelaunt. »Jetzt wird das Essen eben noch länger brauchen, bis es fertig ist. Außerdem bin ich heute allein; meine Frau und die Kinder sind zu Verwandten gereist. Also stellt Eure knurrenden Mägen mit dem Landbrot ruhig.«
»Seid Ihr der berühmte François?« fragte ich nun, Bewunderung vortäuschend, während ich ihn genau beobachtete. Er wandte sich mit einem neuen Gesichtsausdruck zu mir um. Dein wunder Punkt ist also die Eitelkeit, gut, sehr gut, sagte ich mir. Wenn ich auf Befehl meines Ordens in irgendeiner Mission
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