Iacobus
jegliche Spur getilgt haben, obwohl ich bezweifele, daß unsere Freunde auch nur irgendeine Fährte hinterlassen haben.«
»Möglich«, gab er nicht sonderlich überzeugt zu. »Schaut, dort kommt ein Wagen!«
Beatrice d'Hirsons Kutsche näherte sich dem Louvre so leise wie ein dunkler Schatten in der Nacht. Am Kutschbock baumelte eine kleine Laterne hin und her. Der Kutscher zügelte die Pferde und hielt direkt vor uns. Taktvoll trat ich an das kleine Fenster der Kutschentür, an der kein Wappen oder Wappenspruch glänzte, der dazu dienen konnte, deren Eigentümer zu bestimmen. Ohne mich hineinzulehnen, fragte ich leise:
»Madame Beatrice d'Hirson?«
»Steigt ein.«
Als Jonas und ich es uns im Inneren bequem gemacht hatten, fuhr die Kutsche wieder los. Zwei Frauen erwarteten uns: Die eine, besser gekleidete, die ihr Gesicht hinter der weiten Kapuze eines Umhangs verbarg, war zweifellos die Dame, die wir zu sehen wünschten; die andere, ein junges Mädchen, das dem äußeren Anschein nach deren Dienerin war, saß stumm und verschüchtert neben ihrer Herrin in einer Ecke.
»Ich muß Euch zunächst um Verzeihung bitten für den offensichtlichen Kummer, den ich Euch bereitet habe«, sagte ich zur Begrüßung. »Ihr braucht nichts von mir zu befürchten, Madame; nie würde ich Euch in Gefahr bringen.«
»Ich weiß nicht, ob ich Euch glauben kann, Ritter De Born; wie Euer junger Freund mir jenes Schreiben zukommen ließ, war nicht gerade die angemessenste Art und Weise. Ich mußte meine Herrin Mathilde d'Artois ziemlich belügen.«
»Es tut mir leid. Wir fanden keine andere Möglichkeit.«
Nur drei Lampen brannten in ganz Paris des Nachts: am Cimetière des Innocentes, beim Tour de Nesle und beim Grand Châtelet. Unter einer von ihnen – oder einer, die uns in jener Nacht rein zufällig leuchtete – fuhren wir gerade in diesem Augenblick vorbei, was mir Gelegenheit gab, das Antlitz von Beatrice d'Hirson zu bewundern. Sie war eine Frau fortgeschrittenen Alters, um die vierzig vielleicht, aber noch sehr schön. Ihre Augen, von einem dunklen Meeresblau, strahlten jedoch einen eisigen Glanz aus, und als sie später die Kapuze zurückschlug und uns eine Laterne erneut etwas Licht spendete – wir fuhren Runde über Runde vom Tour Barbeau bis zum Ausfalltor von St-Paul, wobei wir natürlich auch mehrere Male am Tour de Nesle vorbeikamen –, sahen wir, daß ihr Haar rot gefärbt war und sie es zu einem Haarknoten hochgesteckt hatte, den ein perlenbesetztes Netz zierte.
»Ihr werdet verstehen, daß ich über nicht viel Zeit verfüge. Ich habe das Schloß mit einer List verlassen, und es wäre nicht angebracht, wenn mich jemand um diese Nachtzeit sehen würde.«
»Ich werde Euch nicht lange aufhalten.«
Die Sache war kompliziert; ich wußte nichts über die Dame, und so viel ich nach dem Studium der päpstlichen Berichte auch darüber nachgedacht hatte, war mir dennoch kein wunder Punkt aufgefallen, mit dessen Hilfe ich mich in die für mich günstigste Position hätte versetzen können. Beatrice war nicht so ungebildet wie der jämmerliche François oder die unglückliche Marie, die man mit einem einfachen Lügengespinst einfangen konnte, ausgeschmückt mit etwas Aberglauben oder adligem Glanz, und selbst wenn dem so wäre, konnte ich mir dessen nicht sicher sein. Deshalb sah ich keine andere Möglichkeit, als eine einigermaßen glaubwürdige Theorie zu entwickeln, in die ich sie so raffiniert einbinden mußte, daß ihr Mienenspiel – oder besser gesagt die Bewegungen ihres Körpers, da wir ja fast völlig im Dunkeln fuhren – und auch der Tonfall ihrer Stimme mich durch das dunkle Labyrinth der Wahrheit leiten würden. In diesem Fall waren meine einzigen Waffen meine Intuition und ein wenig Böswilligkeit.
»Seht, Madame, ich bin Medikus und gehöre einer Schule an, die ihren Sitz in Toledo hat, im Reich unseres Monarchen Alfonso XI. von Kastilien. Vor kurzem gelangten einige seltsame Dokumente in unsere Hände – verzeiht, wenn ich Euch nicht ihre Herkunft verraten kann, da sich wichtige französische Ritter darin verstrickt sehen –, in denen man versichert, daß Euer … Euer Freund, der Siegelbewahrer König Philipps des Schönen, Guillaume de Nogaret« – hier raschelten erstmals die Kleider meiner Dame – »eines schrecklichen Todes starb: Er sei völlig wahnsinnig geworden und habe entsetzliche Schreie ausgestoßen, er habe Blut erbrochen und sich in unerträglichen Muskelkrämpfen
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