Iacobus
großen mit stattlichem Geweih, der heute frei durch die Wälder streift, die wir vor zwei Tagen gesehen haben. Auguste und Felix mußten ihn kurz nach ihrer Ankunft – also kurz nachdem sie Guillaume de Nogaret umgebracht hatten, dessen Tod zwischen dem von Papst Clemens und dem von König Philipp lag – gefangen und dann einigermaßen gefügig gemacht haben. Nebenbei setzten sie ein falsches zwölfendiges Geweih aus den Resten der Hörner anderer Tiere zusammen. Vergiß nicht, daß sie es übernahmen, das Leder des Wildes zu gerben, welches die Bewohner des Waldes erlegt hatten, und dies bedeutet, daß sie auch die Köpfe an sich nahmen. Sie stellten also das falsche Geweih so her, daß es den Kopf des Tieres einfaßte. Auch mußten sie irgendeine Vorrichtung vorbereitet haben, um in wenigen Sekunden aus ihren Hirtenstäben ein perfektes Kreuz zu bilden, das zwischen die falschen Hörner paßte. Kannst du dir die Wirkung vorstellen? Der König sieht den Hirsch und folgt ihm, trennt sich von seiner Jagdgesellschaft; manchmal verschwindet das Tier aus seinem Blickfeld im Dickicht, jedoch entdeckt er es sofort wieder und setzt seine verrückte Jagd fort, die ihn immer weiter von seinem Gefolge trennt. Es ist gut möglich – und hier bewegen wir uns auf unsicherem Boden –, daß Auguste oder Felix das Tier irgendwann einfingen und an einem im voraus ausgewählten Ort verbargen, weshalb der König stehenbleiben mußte, in der Hoffnung, den Hirsch wieder irgendwo springen zu sehen. Dann erscheint Auguste, oder Felix, und bietet ihm seine Hilfe an, den Hirsch zu finden. Er führt ihn hin und her, behauptet, er sehe ihn hier und da, und der König läßt sich vertrauensselig leiten, besessen von dem brennenden Wunsch, diesen so seltsamen Hirsch zu erlegen, dessen Geweih den Hof in Staunen setzen würde. Das Tier taucht plötzlich wieder auf, und der dankbare König sagt zu unserem Freund: ›Erbitte dir, was du willst‹, worauf dieser antwortet: ›Euer Jagdhorn‹, das ihm der König dann auch bereitwillig überläßt. Ohne es zu merken, ist er nun völlig von seinem Gefolge abgeschnitten, bereit, in die Falle zu gehen. Er galoppiert hinter dem Hirsch her, und genau an der Stelle, wo er später am Boden gefunden wird, verliert er ihn wieder aus den Augen. Er hält inne, aufmerksam, reglos und allein … mutterseelenallein. Dann hört er ein Geräusch, ein Rascheln der Blätter und dreht sich geschwind um; und was sieht er? Ah! … Hier setzt unsere Vorstellungskraft ein. Er sieht das gefügige und gezähmte Tier völlig unbeweglich vor sich stehen, so nah, daß er fast seinen Atem hören kann. Sein gewaltiges, wunderbares Geweih, in dessen Mitte sich ein großes Holzkreuz befindet, glänzt womöglich in der Sonne unter einer dicken Schicht Harz. Der König erschrickt, weicht auf seinem Pferd ängstlich zurück, mit Sicherheit kommt ihm wieder Molays Fluch in den Sinn, den er nicht zu verdrängen vermocht hatte – denk daran, daß er als letzter der drei starb, weshalb ihn schreckliche Angst quälen mußte, daß auch seine letzte Stunde bald schlagen würde. Plötzlich fühlt er sich elend; er will seine Jagdkameraden rufen, seine Hand findet allerdings kein Horn mehr am Gürtel: Er hatte es dem Bauern gegeben. Und schon kann er nicht mehr weiterdenken, denn ein heftiger Schlag auf den Kopf wirft ihn aus dem Sattel – erinnere dich auch daran, daß das einzige Zeichen von Gewalteinwirkung, welches die Ärzte fanden, eine Beule hinten am Schädelansatz war, was beweist, daß die Person, die ihn anging, unten auf dem Boden stand. Der König stürzt und beginnt zu phantasieren: ›Das Kreuz, das Kreuz …‹ Auguste und Felix nehmen dem Tier das falsche Geweih und ihre Stöcke ab und lassen es frei; vielleicht laufen sie auch auf den Hügel hinauf, um die Hörner dort zu vergraben. Außerdem sollte man sie von dort oben zurückkehren sehen, wenn der König später entdeckt werden würde.«
»Aber man wird sie doch gefragt haben, ob sie etwas beobachtet hätten.«
»Sicherlich antworteten sie, daß sie nur sahen, wie der König vom Hirsch angegriffen wurde und vom Pferd stürzte, daß sie aber, obwohl sie die königliche Jagdgesellschaft schreiend darauf aufmerksam machen wollten, zu weit weg waren, um gehört zu werden.«
»Wir sollten die Stelle in Augenschein nehmen, wo man den König fand.«
»Wozu, Jonas? Nach drei Jahren ist dort nichts mehr zu entdecken. Außerdem wird das Dickicht wohl inzwischen
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