Iacobus
Erdkreises hatte? … Das bedeutet …«, und endlich begriff er, »am Mare Atlanticus ! Von Atlas, Atlanticus !«
»Atlas, oder Atlant wie man ihn auch nennt, gehörte dem aussterbenden Geschlecht der Riesen an, Wesen, die von Anbeginn der Welt existierten und die den Göttern des Olymp in harten Kämpfen unterlagen. Atlas war der Bruder von Prometheus, jenem herrlichen Titanen, der neben vielen anderen nützlichen Dingen dem niederen Menschengeschlecht die Gabe des Feuers brachte und ihm so erlaubte, sich weiterzuentwickeln und den Unsterblichen ähnlich zu werden … Kurzum, es war nun so, daß der Riese Atlas vom Göttervater Zeus dazu verurteilt wurde, die Himmelskuppel auf seinen Schultern zu tragen.«
»Aber ist all das, was Ihr da gerade erzählt, nicht Ketzerei?« unterbrach mich Jonas. »Wie könnt Ihr behaupten, daß diese seltsamen Wesen, diese Riesen, Götter waren? Es gibt nur einen wahren Gott, unseren Herrn Jesus Christus, der zu unserer Rettung am Kreuz starb.«
»Sicherlich, das stimmt, aber bevor er Fleisch wurde, glaubten die Menschen mit demselben Glauben, mit dem wir heute an unseren Erlöser glauben, an andere, gleichermaßen mächtige Götter, und vor den griechischen und römischen Göttern gab es wiederum andere, die in Vergessenheit geraten oder der Erinnerung fast gänzlich entfallen sind, und vor ihnen, mein lieber Jonas, existierte nur ein einziger Gott.«
»Unser Herr Jesus Christus.«
»Aber nein. Ein Gott, der in Wirklichkeit eine Göttin war: Megálas Matrós , Magna Mater, die Große Mutter: die Erde, die heute noch an vielen Orten der Welt im geheimen unter Namen wie Isis, Tanit, Astarte oder Demeter verehrt wird.«
»Aber, was sagt Ihr denn da?« Jonas erschrak und wich mit einem überängstlichen Blick zurück. »Das könnt Ihr nicht ernst meinen! Eine Frau …!«
Ich lächelte und schwieg. Für seine erste Lektion war es genug.
»Kehren wir zu unserer Botschaft zurück. Manrique hat also Evrard darauf hingewiesen, der Milchstraße zu folgen, bis er zum Reich des Atlas gelange. Aber das ist sehr ungenau, vor allem, weil sie sich, wie ja auch die Botschaft bekräftigt, in zwei Stränge teilt, bevor sie sich im Atlantischen Ozean verliert. Wie läßt Manrique ihn wissen, welchen der beiden Evrard zu wählen hat?«
»Hat das mit der ›Großen Vergebung‹ damit zu tun?«
»Genau. Da ich sehe, daß du es nicht weißt, werde ich es dir erklären: Die ›Große Vergebung‹, oder das, was man auch als den ›Weg der Großen Verzeihung‹ kennt, ist der Pilgerpfad, dem Tausende parallel zu einem der Schwänze der Milchstraße folgen: es ist der Camino de Santiago in Spanien, der Jakobsweg, der Weg des Apostolus Christi Iacobus.«
»Evrard sollte Frankreich also über die Pyrenäen verlassen und den Jakobsweg bereisen?«
»Denk ein bißchen nach. Aus ganz Europa flohen die Tempelherren in Scharen nach Portugal. Höchstwahrscheinlich befindet sich auch Manrique dort, und es gibt nur zwei Wege, um nach Portugal zu gelangen, entweder zu Wasser oder zu Lande. Offensichtlich war Evrard nicht in der Verfassung, einer langen und gefährlichen Schiffsreise zu trotzen, wo er hohem Wellengang oder unerwarteten, gewaltigen Stürmen ausgesetzt gewesen wäre; dies hätte ihn zweifellos umgebracht. Trotz der größeren Langsamkeit und den Unannehmlichkeiten hätte er hingegen auf dem Landweg so oft wie nötig haltmachen können, er hätte von guten Ärzten behandelt werden und sogar im Falle eines Falles sterben können, umgeben von seinen eigenen Ordensbrüdern, da es, wie du weißt, viele Templer gibt, die scheinbar ihrem Glauben abgeschworen haben, um in der Nähe ihrer alten Besitztümer bleiben zu können.«
»Nun, besagter Manrique ist also in Portugal, und Evrard, der nicht gleich fliehen konnte, will sich mit ihm wieder vereinen. Aber warum sollte er dazu den Jakobsweg benutzen?«
»Wegen des Stiers, vergiß das nicht.«
»Wegen des Stiers? Was hat der Stier damit zu tun?«
»Der Stier, mein lieber Junge, ist die Antwort auf die zweite der Missionen, die mir übertragen wurde. Erinnerst du dich? Ich sollte alles über den Verbleib des Goldes der Templer herausfinden, dieses auf geheimnisvolle Weise verschwundenen, großen Schatzes. De Mendoza läßt seinen Gefährten wissen, daß er sich während seiner Reise um nichts zu kümmern braucht, er ersucht ihn zu fliehen, Frankreich möglichst schnell zu verlassen und den Weg zu benutzen, der ihm am sichersten erscheint: den
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