Iacobus
einem großen Schluck aus seiner Kalebasse wischte er sich gerade die Lippen ab und stellte sie dann wieder neben sich auf den Boden. Er war von schmächtiger Gestalt und hatte riesige Segelohren. Und er war fast kahl, nur noch ein paar feine, graue Haare zierten wie ein Lorbeerkranz seinen Kopf. Sein Blick war hart und glühend, von mineralischem Glanz, und seine Bewegungen hatten irgend etwas Katzenhaftes, eine geschmeidige Sanftheit, die mit jenem verschlagenen Lächeln harmonierte, mit dem er mich aufmerksam musterte.
»Ihr seid Don Galcerán de Born, Garcías Vater«, sagte er mit einer Bestimmtheit, die mich überraschte. Ich erinnerte mich nicht daran, ihn an dem Tag gesehen zu haben, als ich Jonas dort zurückließ.
»Stimmt. Und Ihr, wer seid Ihr?« flüsterte ich, während ich mich vorsichtig auf den Rand von Jonas' Strohlager setzte.
»Oh, ich bin niemand, edler Ritter, ich bin niemand!«
Ich lächelte. Er war nichts weiter als ein armer halb übergeschnappter, alter Mann.
»Ihr erinnert mich an Odysseus, den von Troja«, erwiderte ich gutgelaunt, »als er behauptete, Niemand zu heißen, um den Kyklopen Polyphemos zu täuschen.«
»So nennt mich denn Niemand, wenn es Euch gefällt. Was macht es schon, heute so und morgen wieder anders zu heißen? Alles ist zur selben Zeit gleich und verschieden. Ich bleibe derselbe, welchen Namen Ihr mir auch gebt.«
»Ich sehe, Ihr seid ein weiser Mann«, sagte ich, um ihm zu schmeicheln, obwohl er mir in Wirklichkeit ein wenig leid tat, wie er so eine Dummheit nach der anderen von sich gab.
»Meine Worte sind nicht dumm, Don Galcerán, wenn Ihr sie ein wenig überdenkt, werdet Ihr es wohl merken.«
Verwundert schüttelte ich den Kopf und sah ihn neugierig an.
»Was überrascht Euch?« fragte er mich.
»Ihr habt auf das geantwortet, was ich gerade gedacht, und nicht auf das, was ich gesagt habe.«
»Welcher Unterschied besteht zwischen dem Gesagten und dem Gedachten? Wenn Ihr die Menschen aufmerksam beobachtet, werdet Ihr feststellen, daß Gesicht und Körper das ausdrücken, über was sie in Wirklichkeit gerade nachgrübeln, was auch immer sie laut sagen.«
Vergnügt lächelte ich wieder. Jener klapprige Alte war nur ein scharfsinniger und übertrieben freundlicher Mann. Weiter nichts.
»Euer Sohn hat mir erzählt, daß Ihr auf dem Weg nach Santiago de Compostela seid«, fügte er hinzu und wickelte sich in seine Wolldecke ein, so daß jetzt nur noch sein Kopf hervorschaute, »um den heiligen Gebeinen des Apostels Jakobus zu huldigen.«
»So ist es, dorthin sind wir unterwegs, so Gott will.«
»Ihr tut gut daran, den Jungen mitzunehmen«, erklärte er unbeirrbar. »Er wird während der Reise viele wichtige Dinge lernen, die er nie wieder vergißt. Ihr habt einen wunderbaren Sohn, Sire Galcerán. García ist ein außergewöhnlich aufgeweckter Junge. Ihr müßt sehr stolz auf ihn sein.«
»Das bin ich.«
»Er ähnelt Euch sehr. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß er Euer Sohn ist, selbst wenn seine Gesichtszüge nicht den Euren gleichen.«
»Das sagen alle.«
Ich wurde der Unterhaltung schon überdrüssig, da der barsche Ton meiner Antworten den Alten allerdings nicht zu stören schien, runzelte ich nun die Stirn und drehte mich zu Jonas um.
»Ihr wollt den Jungen wecken.«
Ich antwortete nicht. Ich wollte ihn nicht kränken, doch hatte ich andere Dinge zu tun.
»Ihr wollt den Jungen wecken«, wiederholte er mit Nachdruck.
Auch darauf gab ich keine Antwort.
»Und Ihr wollt nicht mehr weiterreden.«
Mit der Hand fuhr ich durch Jonas' zerzausten Haarschopf, um ihn zu wecken. Von seiner klösterlichen Tonsur war inzwischen nichts mehr zu sehen.
»Meinetwegen«, murmelte der Alte gleichgültig und drehte sich auf die andere Seite. »Aber denkt daran, Don Galcerán, ich heiße Niemand. Ihr selbst habt mir diesen Namen gegeben.«
Und glückselig schlief er ein, während die Sonne durch die Maueröffnungen flutete.
»Über was habt Ihr mit dem Großvater gesprochen?« fragte Jonas schläfrig, der jetzt allmählich zu sich kam und sich eben auf den Rücken drehte.
»Ach, über nichts Wichtiges«, entgegnete ich, »bist du wieder bei Kräften, um weiterzuwandern?«
»Natürlich.«
»Und hast du immer noch die Absicht, Märtyrer zu werden?«
»O nein, jetzt nicht mehr!« behauptete er überzeugt, während er die Augen öffnete und sich aufrichtete. »Jetzt möchte ich Ritter vom Heiligen Gral werden.«
»Ritter von was?« fragte ich
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