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Iacobus

Iacobus

Titel: Iacobus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matilde Asensi
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überrascht.
    »Ritter vom Heiligen Gral«, wiederholte er und stand auf, um seine Kleider zusammenzusuchen.
    »Schon gut«, erwiderte ich resigniert und reichte ihm Hosen und Wams. So unglaublich es auch sein mochte, war Jonas in jenen zwei Tagen wieder gewachsen. Sein schlaksiger Körper war noch mehr in die Höhe geschossen, und die Hose war ihm zu kurz geworden. Wenn er so weitermachte, würde er mich binnen kurzer Zeit überragen. Er betrachtete seine bloßen Beine und lächelte zufrieden. Seine Herkunft war nicht zu verleugnen, die Ähnlichkeiten drängten sich viel mehr auf als die von mütterlicher Seite herrührenden Unterschiede, vor allem, wenn der eine immer neben dem anderen ging.
    Leider mußte ich mir in den folgenden Tagen endlose Geschichten über die faszinierende Sage des Heiligen Grals anhören. Laut Jonas, der von dem alten Niemand – den er selbst ›Großvater‹ nannte – in diesen Dingen unterwiesen worden war, wurde der Abendmahlskelch in einem geheimnisvollen Tempel auf einem Berg namens Montserrat versteckt gehalten und von dem bemerkenswerten König Amfortas eifersüchtig bewacht. Seine Mission führte er mit Hilfe der ehrwürdigen Ritter vom Heiligen Gral durch, die in allem Engeln glichen. Die besten von ihnen waren allem Anschein nach Parzival, Galaaz und Lanzelot, die neuen Helden des Jungen, zu deren religiösem Eifer sich unvorstellbare, ritterliche Heldentaten gesellten. Während der fünf Tage, die wir benötigten, um nach Eunate nahe Puente la Reina zu gelangen – letzterer der Ort, wo sich die beiden Routen über die Pyrenäen-Pässe Summus Portus und Roncevalles zum eigentlichen Pilgerweg vereinten –, wurde mir dann jede einzelne davon in aller Ausführlichkeit erzählt.
    Ich muß gestehen, daß ich mit meinen Gedanken weit weg war, während Jonas unaufhörlich plapperte. Eine Zeitlang hörte ich ihm mit unendlicher Geduld zu, wenn ich allerdings nicht mehr konnte, versenkte ich mich in meine eigenen Angelegenheiten, bis irgendein Ausruf, eine Klage oder eine Bitte mich wieder in die harte Realität zurückholten. Nicht, daß es Jonas egal gewesen wäre, ob ich ihm Aufmerksamkeit schenkte oder nicht (vermutlich war er sich meiner Zerstreutheit vollkommen bewußt), doch war dies nun einmal seine unbeholfene und unbestimmte Art, eine Brücke zwischen uns zu schlagen, wobei er allerdings etwas über die Stränge schlug. Wenn seine Erziehung aber gut voranschritt, würde er bald die Erfahrung machen, daß sich menschliche Beziehungen nur aufbauen, wenn man dem anderen mit Interesse zuhört und nicht dessen Ohren ermüdet.
    Auf unserer Wanderung von Jaca nach Puente la Reina kamen wir an vielen bedeutungsvollen Orten vorbei, die ich genau in Augenschein nahm. Dennoch begann sich eine gewisse Mutlosigkeit in meinem Kopf festzusetzen, die mich bedrückte und mir die Luft abschnürte. Offen gestanden hatte ich schon viel zuviel Zeit fern meiner Lieben verbracht, fern meiner Freunde, Gefährten und Ordensbrüder. Zu lange, ohne jemanden hinsichtlich meiner Zweifel zu Rate zu ziehen, ohne meine Studien betreiben und meinen Beruf ausüben zu können. Ich fühlte mich allmählich wie ein Verbannter, wie ein Aussätziger, der dazu verdammt war, weit weg von den Seinen zu leben. Es war, als ob ich plötzlich aus einem Traum erwacht wäre und entdeckte, daß nichts, was ich bis dahin erlebt hatte, auch in Wirklichkeit geschehen war. Man hatte mein Leben und meine Identität ausgetauscht, ohne daß ich es bemerkt hatte, ohne daß ich jemals etwas anderes getan hatte, als Befehlen zu gehorchen. Die Vorstellung quälte mich, daß nicht einmal meinem eigenen Orden viel an den Folgen lag, die dies alles für mich haben konnte. Beunruhigte es etwa auch nur irgendwen, daß der Perquisitore sich jeden Tag mehr wie ein heimatloser Ordensritter fühlte? War der Orden des Hospitals vom Heiligen Johannes darüber unterrichtet, daß einer seiner Mönche von Schergen des Papstes mit dem Tode bedroht wurde? Wenn er auch unsichtbar blieb, so war Graf Joffroi de Le Mans doch mein ständiger Alptraum. Es entging mir nicht, daß er Seiner Heiligkeit im wahrsten Sinne des Wortes so treu ergeben war wie ein Hund und daß er nicht einmal mit der Wimper zucken würde, wenn er die Klinge seines Schwertes durch die Brust meines Sohnes bohren müßte, um dem Befehl des Heiligen Vaters Folge zu leisten.
    Mitte September erwachten wir zum ersten Mal bedeckt mit Tau, und unsere Glieder waren ganz klamm vor

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