Iacobus
wenn ich mich nicht gleich beruhigen würde.
»Das Leiden und das Martyrium sind die Wege der Vervollkommnung und Annäherung an Gott.«
»Wer hat dir denn so etwas erzählt?«
»Das hat man mir im Kloster beigebracht, ich hatte es jedoch vergessen«, führte er zu seiner Entschuldigung an. »Jetzt aber weiß ich, daß mein Leben nur einen Sinn hat: Christus' Märtyrer zu sein, durch Leiden geläutert zu sterben. Ich möchte die Dornenkrone der Auserwählten tragen.«
Die Verblüffung hinderte mich daran, einen gotteslästerlichen Fluch auszustoßen. Mein Sohn benötigte dringend eine gründliche ritterlich-höfische Ausbildung. Wir waren zu jenem Zeitpunkt nur leider von Bergen umgeben – wir befanden uns gerade auf dem Weg von Borce nach Urdós, das sich schon in der Ferne abzeichnete, und ließen soeben das Vallée d'Aspe hinter uns, um den höchsten Paß der Pyrenäen, den Summius Portus , zu erklimmen –, und in dem Umfeld konnte ich sie ihm nicht zuteil werden lassen. Um die Situation zu retten, mußte ich mich irgendeiner List bedienen.
»Nun gut, mein Junge«, willigte ich deshalb ein. »Du kannst gern Märtyrer werden. Das ist eine glänzende Idee.«
»Wirklich?« fragte er voll Argwohn und sah mich schief an.
»Ja, wirklich. Ich werde dir dabei helfen.«
»Ich weiß nicht, ich weiß nicht … Euer plötzlicher Sinneswandel kommt mir merkwürdig vor, Sire.«
»Du solltest nicht demjenigen mißtrauen, der dir nur beistehen möchte, an die Pforten des Himmels zu gelangen. Schau, machen wir uns deine Schwäche zunutze, da du ja wahrscheinlich schon mehrere Tage lang nichts mehr gegessen hast. Von heute an …«
»Mit Brot und Wasser halte ich gut durch. Mehr nehme ich nicht zu mir«, warf er schnell ein.
»… von heute an, sagte ich, wirst du all unsere Habe, sowohl deine als auch meine, tragen«, erklärte ich und hängte ihm meinen Beutel und meine Büchse über die Schulter. »Und um dein Martyrium noch zu vervollkommnen, wirst du ab jetzt auch nichts mehr essen oder trinken, nicht einmal mehr Brot und Wasser.«
»Ich glaube, es ist besser, es auf meine Art zu machen«, murmelte er.
»Warum? Was du mit diesem Opfer doch eigentlich suchst, ist der Tod. Hast du nicht behauptet, daß du das Martyrium und die Dornenkrone der Auserwählten anstrebst? Nun, soweit ich weiß, stellt das Martyrium den Opfertod um des Glaubens willen dar. Was für ein Unterschied besteht dann darin, heute oder morgen zu sterben? Die Zeit ist nicht wichtig, was zählt, ist das Ausmaß des Leidens, das du vor Gottes Thron vorweisen kannst.«
»Ja, aber ich glaube, wenn ich es so mache, wie ich es will, hat es mehr Wert. Der Todeskampf ist dann langsamer.«
Ich bekam große Lust, diesem einfältigen Jungengesicht eine schallende Ohrfeige zu versetzen, doch gab ich vor, seine Worte in Betracht zu ziehen und Für und Wider jeder Möglichkeit abzuwägen.
»In Ordnung, mach, was du willst. Wenn du allerdings weiterhin Brot und Wasser zu dir nimmst, solltest du dich zumindest zur Ader lassen. Du weißt ja, daß dies eine zuverlässige Methode ist, um keine Sünden mehr auf sich zu laden und die Reinheit der Seele zu bewahren. In Ponç de Riba wirst du wahrscheinlich gesehen haben, wie man die widerspenstigen Mönche zur Ader ließ.«
»Nein, nein, ich will nicht zur Ader gelassen werden«, stellte er hastig klar. »Ich glaube, wenn ich mir unsere ganzen Habseligkeiten aufhalse und mich bis zu meinem Tod nur mit Brot und Wasser ernähre, reicht es.«
»Wie du willst. Jetzt laß uns aber weitergehen.«
Wir ließen das Tal hinter uns und stiegen den Weg nach Fundería hinauf. Gegen Mittag kamen wir durch den Wald von Espelunguera und überquerten den Fluß, um uns an den Aufstieg nach Peyranera zu machen. Wir hätten keine bessere Jahreszeit wählen können, um die Berge zu bezwingen und die ganze Herrlichkeit der Natur zu genießen; umgeben von mächtigen Pinien, Tannen, Buchen, Pappeln und Wildrosenhecken marschierten wir dahin, und Gemsen, Eichhörnchen, Rehe und Wildschweine leisteten uns hin und wieder Gesellschaft. Dieselbe Strecke im Winter bei Sturm und Schnee zurückzulegen, wäre Selbstmord gewesen. Trotzdem zogen viele Pilger jene Jahreszeit vor, denn dann war die Gefahr geringer, auf Bären und Wegelagerer zu stoßen.
Den ganzen Tag wanderten wir auf den herrlichen Aspe zu, diesen spitzen Felsen, der sich vor unseren Augen gegen die Unendlichkeit abzeichnete und die Schritte der Pilger bis zu seinem
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