Iacobus
Grund, dein Interesse auf diesen Punkt zu lenken, denn er steht gewiß in Bezug zu dem, worüber wir sprachen. 1118 wurde der französische Adlige Hugo von Payns bei König Balduin II. von Jerusalem vorstellig und bat ihn um Erlaubnis, mit weiteren acht französischen und flämischen Rittern die Pilger aus dem Abendland schützen zu dürfen, die zu den heiligen Stätten nach Jerusalem unterwegs waren. Es war dies ein großzügiges Anerbieten, welches ein dringendes Bedürfnis befriedigte, das vom König zuvor schon zur Sprache gebracht worden war, so daß dieser erfreut zustimmte. Die neun Ritter hatten im Gegenzug nur eine bescheidene Bitte: Sie wollten sich gern dort niederlassen, wo zuvor der Salomo-Tempel gestanden hatte.«
»Das war wirklich alles, worum sie bei ihrer Ankunft in Jerusalem baten?«
»Wahrlich ja. Erscheint dir das nicht merkwürdig?«
»Natürlich. Doch komme ich nicht dahinter, warum sie so erpicht darauf waren. Einzig um sich Tempelritter oder Templer nennen zu können?«
»Aber siehst du das denn nicht, Jonas? Als sie den ehemaligen Tempelbezirk erhalten hatten, zogen sich die neun Ritter darin zurück. Neun Jahre lang zogen sie kein einziges Mal aufs Schlachtfeld, lieferten sich weder irgendeine Schlacht mit den Ungläubigen, noch schützten sie einen einzigen Reisenden, wie sie es dem König von Jerusalem versprochen hatten. Wie sie behaupteten, widmeten sie sich ausschließlich dem Gebet und der Meditation. Stell dir vor, Jonas: neun Jahre lang neun im Tempel von Salomo zurückgezogen lebende Ritter, ohne Bedienstete und ohne jemanden rein oder raus zu lassen, der nicht ihre Einwilligung hatte. Ist das nicht sonderbar? Nach dieser Zeit kehrten sechs der neun Tempelherren nach Frankreich zurück, um auf dem Konzil von Troyes die Genehmigung ihrer Ordensregeln zu erwirken.«
»Wollt Ihr damit andeuten, daß die Templer irgendein geheimes Ziel vor Augen hatten, als sie nach Jerusalem kamen?«
»Die Templer suchten im Heiligen Land etwas ganz Bestimmtes, darüber besteht nicht der geringste Zweifel. Wahrscheinlich mußt du noch etwas wissen: Der heilige Bernhard von Clairevaux, doctor Ecclesiae , Stifter des Zisterzienserordens sowie erster Abt des gleichnamigen Klosters, von dem du sicher schon gehört hast, da er eine hochgeschätzte, kirchliche Persönlichkeit war«, – Jonas schüttelte den Kopf und ich seufzte resigniert –, »wurde damit beauftragt, die heiligen hebräischen Schriften, die man nach der Einnahme Jerusalems während des ersten Kreuzzuges dort gefunden hatte, zu übersetzen und zu studieren. Jahre später veröffentlichte er die polemische Schrift ›De laude novae militiae ‹, das ›Lob der neuen Miliz‹, in der er die Notwendigkeit von Rittermönchen aufwarf, die den Glauben mittels des Schwerts verteidigen sollten, was für die damalige Zeit ein absolutes Novum darstellte. Nun, der heilige Bernhard war der leibliche Onkel eines der acht Ritter im Gefolge Hugos von Payns und zudem sein Freund. Deshalb stammte die Idee, den Orden der ›Armen Soldaten Christi‹ zu gründen, zweifelsohne vom heiligen Bernhard. Jetzt hast du alles, was du brauchst, um selbst zu einer logischen Schlußfolgerung zu gelangen.«
»Gut …«, stammelte er. »Vielleicht …«
»Los, schnell! Denk nach!«
»Der heilige Bernhard hatte irgend etwas in jenen hebräischen Schriften entdeckt, etwas, was er unbedingt haben wollte, weshalb er die neun Ritter nach Jerusalem schickte … Jetzt verstehe ich!« rief er plötzlich freudig aus. »Was Ihr mir zu erklären versucht habt, ist, daß man die Bundeslade und die Gesetzestafeln irgendwo im Salomo-Tempel versteckt hatte und daß die vom heiligen Bernard übersetzten Dokumente genau den Ort verrieten, wo sie zu finden waren! Deshalb sandte er also die Ritter dorthin.«
»Wenn in den Schriften eindeutig die Stelle bezeichnet worden wäre, wo sie die Bundeslade und die Gesetzestafeln suchen sollten, so hätten die Ritter nicht ganze neun Jahre dazu gebraucht, um sie ausfindig zu machen, meinst du nicht auch?«
»Das ist auch wieder wahr. Nun gut, die Schriften deuteten also nur an, wo sie ungefähr versteckt waren, an irgendeinem Ort im Tempelbezirk, ohne aber näher darauf einzugehen.«
»Das klingt schon einleuchtender. Obwohl es natürlich ebenso möglich wäre, daß die ersten Tempelherren sie gleich fanden und sich während jener neun Jahre angesichts der Wichtigkeit und der Heiligkeit des Funds tatsächlich nur dem widmeten, was
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