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Titel: iBoy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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ungewiss, alles kann sich schnell ändern. Paradoxerweise haben die meisten Gang-Mitglieder trotzdem eine klare Vorstellung davon, wie der Drogenmarkt strukturiert ist. Am besten versteht man diesen Markt, wenn man sich vorstellt, wie das beim Obst läuft, das in Supermärkten verkauft wird. In diesem Fall operieren die Produzenten in Jamaika oder Südamerika. Die Topmitglieder der Gang sind diejenigen, an die die Produzenten verkaufen – die Alten und Erfahrenen. Sie sind die Geschäftsleitung der Supermarktkette. Darunter stehen die Jüngeren: die einzelnen Marktleiter. Und an den Kassen und im Laden arbeiten die Dealer.
     
    John Heale
    One Blood
(2008)
     
    Ich schlief in dieser Nacht (oder eher an diesem Morgen) genau einundvierzig Minuten und zwei Sekunden, und es wäre wirklich schön gewesen, den nächsten Tag im Bett zu bleiben und |92| nichts zu tun. Aber inzwischen war ich sogar zum Schlafen zu müde. Außerdem wusste ich, wenn ich im Bett blieb, würde ich nur weiter über alles nachdenken, und davon hatte ich fürs Erste wirklich genug.
    Ich musste irgendwas
tun
.
    Ich ging ins Badezimmer, drehte die Dusche auf, dann schaltete ich – nackt vor dem Spiegel – meine iHaut an und sah zu, wie mein ganzer Körper zu glühen begann und sich verwandelte.
    Es war ein verrücktes Gefühl. Die Kontur meines Körpers – seine äußere
Form
– wurde undeutlich und verschwommen, wurde eins mit dem Hintergrund, wie eine Art unheimliches Super-Cyber-Chamäleon, und wenn ich mich bewegte, hinterließ das flüchtige Spuren in der Luft, was alles noch verschwommener machte.
    Ich stand ein, zwei Minuten da und starrte mich an, dann – als ich den Wahnsinn nicht mehr aushielt – schaltete ich alles ab und ging unter die Dusche.
     
    Zwanzig Minuten später, als ich gerade im Wohnzimmer herumkramte und meine Schuhe, meine Tasche und so weiter zusammensuchte, kam Gram in Bademantel und Hausschuhen hereingeschlurft. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und konnte nicht aufhören zu gähnen, also nahm ich an, dass auch sie nicht viel geschlafen hatte.
    »Morgen, Tommy«, murmelte sie und unterdrückte ein weiteres Gähnen. »Wie spät ist es?«
    »Fast acht«, erklärte ich ihr. »Hast du irgendwo meine Tasche gesehen?«
    »Welche Tasche?« Sie rieb sich die Augen und sah mich an. »Was hast du vor?«
    |93| »Meine Schultasche«, sagte ich. »Ich kann sie nirgendwo finden.«
    »Schule?«, sagte sie und wurde auf einmal wach. »Was redest du denn da? Du gehst doch jetzt nicht zur Schule.«
    »Wieso nicht?«
    »Ach, komm, Tommy   … du bist gerade erst aus dem Krankenhaus raus. Du hast siebzehn Tage im Koma gelegen
und
eine schwere Operation hinter dir. Oder hast du das schon vergessen?«
    Ich lächelte sie an. »Was für eine Operation?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das ist nicht lustig   … du brauchst Ruhe. Mr Kirby hat dich nur gehen lassen, weil ich versprochen habe, dafür zu sorgen, dass du viel Ruhe kriegst.« Sie sah mich an. »Du musst dich noch schonen, Schatz.«
    »Ja   … aber mir geht’s gut, Gram. Ehrlich   –«
    »Das weiß ich. Und ich will ja bloß dafür sorgen, dass es so bleibt.«
    »Aber ich wollte nur hin, um ein paar Schulbücher zu holen«, sagte ich. »Ich hab doch nicht vor, den ganzen Tag dortzubleiben.«
    »Na ja   … trotzdem«, antwortete sie mit einem leichten Zögern. »Ich finde wirklich nicht, dass du schon wieder draußen rumlaufen solltest.«
    Es war tatsächlich nur ein leichtes Zögern, doch es zeigte mir, dass ich auf dem richtigen Weg war.
    »Ich bleib auch nur eine halbe Stunde«, erklärte ich ihr. »Versprochen. Zehn Minuten hin, zehn Minuten, um die Bücher zu holen, zehn Minuten zurück.«
    Gram schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, Tommy   … wieso brauchst du die Bücher überhaupt? Ich meine, warum bist du plötzlich so wild aufs
Lernen

    |94| »Vielleicht durch die Gehirn-OP«, sagte ich und lächelte sie an. »Vielleicht hat sie mich ja in ein noch unentdecktes Genie verwandelt.«
    Ein schwaches Lächeln zuckte über ihr Gesicht. »Um
dich
in ein Genie zu verwandeln, bräuchte es schon mehr als eine Gehirn-OP.«
    Ich zog ein Deppengesicht. Sie lachte.
    Ich sagte: »Kann ich dann also gehen? Ich versprech dir, ich bleib nicht lange.«
    Sie schüttelte wieder den Kopf und seufzte. »Du nutzt mal wieder mein gutes Herz aus, Tom Harvey. Das weißt du ganz genau.«
    »Wer? Ich?«
    »Du bist schlimm.«
    »Danke, Gram«, sagte ich.
    Sie seufzte erneut.

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