Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
iBoy

iBoy

Titel: iBoy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
»Deine Tasche liegt in der Küche.«
     
    Als ich im Erdgeschoss aus dem Fahrstuhl stieg, kam gerade der Postbote durch den Eingang. Ich hielt ihm die Fahrstuhltür auf.
    »Danke, Kumpel«, sagte er und stieg in den Lift. Er sah mich an. »Harvey, stimmt’s?«
    »Ja   …«
    Daraufhin kramte er seine Tasche durch und überreichte mir ein paar Briefe. »Bitte schön.«
    Ich sah auf die Umschläge. Sie waren an Gram adressiert – Ms Conny Harvey.
    »Die sind nicht für mich«, sagte ich und wollte sie dem Postboten zurückgeben. »Die sind für meine   –«
    Aber die Fahrstuhltür ging schon zu.
    »Tschüss, Kumpel«, sagte er.
     
    |95| Es ist zwar nur zehn Minuten zu Fuß bis zur Schule, aber es war kalt und regnerisch an diesem Morgen und ein eisiger Wind wehte die Straßen entlang, deshalb ging ich Richtung Bushaltestelle und hoffte, dass ich nicht allzu lang warten musste. Ich hatte Glück. Der Bus hielt, als ich gerade ankam. Ich stieg ein, zeigte dem Fahrer meinen Ausweis und schlurfte nach hinten.
    Der Bus fuhr los.
    Es war jetzt 08:58:11   Uhr, ein bisschen spät für die Schule, daher war der Bus ziemlich leer und ich hatte die hintere Sitzbank für mich allein.
    Ich schaute auf die zwei Briefe, die mir der Postbote gegeben hatte.
    Wenn du, wie Gram und ich, nicht viel Geld hast und gewohnt bist, Zahlungserinnerungen und letzte Mahnungen zu bekommen, lernst du schnell, sie schon von außen zu erkennen. Und ich wusste sofort, dass beide Briefe letzte Zahlungsaufforderungen enthielten.
    Ich machte sie auf. Was das Postgeheimnis angeht, war das keine große Sache. Ich meine, ich öffne nie einen von Grams persönlichen Briefen, aber es ist vollkommen in Ordnung für sie, wenn ich alles andere aufmache, das an sie adressiert ist. Wie sie immer sagt: Das meiste ist sowieso nur Müll. Doch diese Briefe waren kein Müll. Und sie waren auch keine letzten Mahnungen – sie waren
aller
letzte Mahnungen. Einer kam von der Stadtverwaltung und besagte, dass sie mit der Miete drei Monate im Rückstand war; der andere war eine Vorladung vom Gericht, um zu erklären, wieso sie die Gemeindesteuer nicht bezahlt hatte.
    Der Bus kam zitternd zum Stehen. Wir steckten im Verkehr fest und waren gerade mal zwanzig Meter von der Haltestelle entfernt. Die Autos stauten sich die ganze Crow Lane entlang |96| und ich wusste, es wäre viel schneller, auszusteigen und zu Fuß zu gehen, aber draußen war es kalt und nass und hier drinnen warm   … und es war ja sowieso egal, ob ich zu spät zur Schule kam. Niemand erwartete mich.
    Ich schaute einen Moment aus dem Fenster und blickte hinüber zu dem ehemaligen Industriegebiet, das sich zwischen der Crow Lane und der High Street erstreckte. Es lag da wie immer: Flächen aus aufgeplatztem Beton, Haufen von Kies, die ausgebrannten Gerippe gestohlener Autos und ausrangierte Container   …
    Eine triste graue Wüste unter einem tristen grauen Himmel.
    Der Bus fuhr wieder an und ich schloss die Augen, dachte über Grams Geldprobleme nach und ließ mein iHirn seinen iKram machen.
     
    Gram hatte zwar kein Online-Konto, aber das spielte keine Rolle. Meine digitalisierten Neuronen hackten sich einfach in ihre Bank ein und riefen ihre Kontodaten auf. So fand ich schnell heraus, dass sie mit £ 6432,77 im Minus stand, dass ihre Karte gesperrt war und dass sie auch nichts mehr mit Scheck bezahlen durfte. Ich fragte mich, wie sie die letzten paar Monate zurechtgekommen war. Mit Kreditkarten vielleicht? Ich hackte mich in ihre verschiedenen Kreditkarten-Konten ein und – ja – sie waren alle ausgeschöpft. Ich überprüfte die Kontoauszüge und sah, dass sie die Kreditkarten wirklich nur für alltägliche Dinge benutzt hatte – Bargeldabhebungen, Lebensmitteleinkäufe, solche Sachen   –, und als ich noch mal zurückging und mir ihr Girokonto näher ansah, wurde mir klar, dass sie nicht zu viel ausgegeben hatte, sondern nur deshalb in den Miesen war, weil nicht genug Geld reinkam. Sie verdiente einfach zu wenig, um uns beide zu ernähren.
    |97| Das war eine große Überraschung für mich. Ich meine, Gram hatte nie furchtbar viel Geld verdient und wir hatten uns immer strecken müssen, damit wir über die Runden kamen, aber irgendwie hatten wir es die ganzen Jahre über geschafft. Doch jetzt   … tja, jetzt sah es verdammt ernst aus.
    Plötzlich ruckelte und zitterte der Bus, ich öffnete die Augen und sah, dass wir gerade an der Schul-Haltestelle stehen blieben. Ich speicherte alle

Weitere Kostenlose Bücher