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Titel: iBoy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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lächelte. »Macht es dich auch kugelsicher?«
    »Keine Ahnung«, sagte ich schulterzuckend. »Hat noch niemand versucht, mich zu erschießen.«
    Ellman blickte mich ein, zwei Sekunden an, seine Augen schienen durch mich hindurchzusehen. Dann rief O’Neil |254| plötzlich: »Sie wacht auf!«, und wir guckten beide rüber zu ihm. Er sah zur Tür raus, schaute den Flur entlang.
    »Die alte Frau«, sagte er, als er sich wieder zu Ellman umdrehte. »Sie kommt wieder zu sich.«
    »Fessel sie«, sagte Ellman. »Schaff sie aus dem Weg.«
    Als O’Neil nickte und in den Flur verschwand, musste ich mich zusammenreißen, um nicht auszurasten   … keinen Mord zu begehen.
    Ich sah Ellman an. Er saß einfach da, rauchte eine Zigarette und starrte vor sich hin, sein Gesicht eine Maske der Konzentration   …
    Ich warf Lucy einen Blick zu. Blut war aus der Wunde an ihrer Stirn auf das Nachthemd getropft, das Gesicht selbst war bleich und verängstigt, aber als sie schweigend zurückschaute, erkannte ich eine verborgene Kraft in ihren Augen, eine Art Vertrauen   … den Glauben, dass wir beide trotz allem, was passiert war – und allem, was jetzt
gerade
passierte und noch passieren würde   –, das Ganze überstehen würden.
    Lucy glaubte fest daran.
    Ich lächelte ihr zu und versuchte, ihr zu zeigen, dass ich ihren Glauben teilte.
    Auch wenn ich es nicht tat.
    »Eigentlich eine Schande«, sagte Ellman.
    Ich sah ihn an. »Was?«
    Er stöhnte. »Du und ich   … wir hätten zusammen echt was erreichen können. Mit deinen Fähigkeiten und meiner Erfahrung   … ich meine, scheiß Crow Town, wir hätten alles haben können, was wir wollen. Fuck, wir hätten
Millionen
machen können   …« Er sah mich verächtlich an. »Aber das könntest du nicht, stimmt’s? Scheiße, dafür bist du zu schwach. Zu gottverdammt
anständig
.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, |255| damit käm ich nicht klar. Das würde mich wahnsinnig machen.« Er seufzte. »Wie gesagt, es ist eine Schande   … aber Geschäft ist Geschäft.« Er lächelte mich an. »Und sonst gar nichts, verstehst du   … das Ganze hier   … die alte Frau, die Schlampe da drüben   … du   … alles ist nur Geschäft.«
    Ich konnte mich nicht einmal aufraffen, ihn anzusehen.
    Er schniefte. »Na gut   … machen wir weiter.« Er stand auf und rief: »Yo? Bist du fertig da drüben?«
    O’Neil rief aus Grams Zimmer zurück: »Gleich, nur noch eine Minute   …«
    »Was machst du?«
    »Nichts, seh mich nur um   …«
    »Lass es. Wir gehen.«
    »Gibt ein paar hübsche Sachen hier. Laptops, Schmuck   –«
    »Ich hab gesagt,
lass
es, verdammt!«, blaffte Ellman. Dann drehte er sich zu Tweet um. »Ruf Gunner an, sag ihm, wir sind fertig, und dann check draußen den Flur.«
    Tweet zog ein Handy aus der Tasche, drückte eine Taste und ging raus in den Hausflur. Ich klinkte mich in den Anruf ein und verfolgte ihn zu einem anderen Handy auf dem Platz unten, irgendwo in der Nähe vom Hochhauseingang.
    Ja?
    Wir kommen jetzt raus. Alles okay?
    Ja, alles ruhig.
    »Steh auf«, sagte Ellman zu mir.
    Ich stand auf.
    Tweet kam wieder rein. »Alles in Ordnung.«
    Ellman nickte. »Du gehst vor. Hash, du dahinter.« Er drehte sich zu O’Neil um, der in der Tür stand. »Und du hinter Hash, klar?«
    O’Neil nickte.
    |256| Ellman sagte zu mir: »Du gehst hinter Yo. Verstanden?«
    »Ja.«
    »Ich bin direkt hinter dir. Hash?«
    »Ja?«, sagte Hash.
    »Wie geht’s mit der Pistole?«
    »Mir tut die scheiß Hand weh.«
    Ellman sagte zu mir: »Hast du gehört? Ihm tut die Hand weh. Sie ist jetzt seit ungefähr einer Stunde an die Pistole getapt, also sind seine Finger bestimmt ein bisschen taub. Es braucht nicht viel und er drückt ab. Wenn er’s tut, ist es deine Schuld. Kapiert?«
    »Ja, kapiert.«
    »Okay, dann los.«

|257| 10110
    Hier gibt es Komödien und Tragödien   … Hier gibt es Melodramen   … Hier gibt es ungeschminkte Emotionen. Und hier gibt es auch eine primitive Form von Demokratie, die alle üblichen sozialen Unterschiede und jede Rassendiskriminierung aufhebt. Kurz gesagt, die Gang bedeutet Leben   …
     
    Frederic Thrasher
    The Gang
(1927)
     
    Es war 03:15:52   Uhr, als wir die Wohnung verließen und über den Flur zum Aufzug gingen. Niemand war in der Nähe. Das Hochhaus wirkte kalt und ausgestorben. Die Stille des frühen Morgens erfüllte die Luft und ließ alles noch viel ausgestorbener wirken. Dumpf hallten unsere Schritte im Treppenhaus wider. Als wir

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