iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
Worte. Ihre Augen funkelten bei dem, was sie machten. Gegen alle Widerstände, Entbehrungen, Probleme und Steine auf dem Weg. Sie lebten ihr selbst gefundenes Lebenskonzept mit völliger Überzeugung und ansteckender Freude. Die Familie liebte das, was sie mit einem großen Bewusstsein tat und schaffte es durch ihr Beispiel einen Schalter in unseren Köpfen umzulegen. Wir erkannten durch sie, dass es viele unterschiedliche Möglichkeiten zum persönlichen Glück gibt«, beendete ich meine Erzählung.
Der Tag auf dem Frachter ging mit weiteren Erzählungen zu Ende.
Am nächsten Morgen trafen der Berliner Reisende, Birte und ich uns ausgeschlafen wieder an Deck. Wir genossen den Anblick der Natur und lernten weitere Passagiere kennen. Der Morgen verstrich in einer beruhigenden Langsamkeit, als wir uns den Fjorden und kleinen Inseln näherten. Die Motoren brummten leise vor sich hin, während das Frachtschiff durch das Wasser glitt. Der Wind war vollständig eingeschlafen und die See lag spiegelblank vor uns. Seelöwen und Albatrosse begleiteten uns eine Weile. Die Fluke eines Wals tauchte auf. Nachdem der Koloss abgetaucht war, erinnerten nur noch konzentrische Kreise auf dem Wasser an ihn.
Die Geschwindigkeit des Schiffs wurde auf ein Minimum gedrosselt, als rings um uns herum viele dunkelgraue Felsen und zahllose Inseln erschienen. Ich kam mir vor wie im Irrgarten auf der Kirmes, weil sich die Durchfahrten erst im letzten Augenblick erschlossen. Der erfahrene Kapitän kannte die Meerespassage und lotste unser Schiff hindurch. Es herrschte eine beruhigende Stille, nachdem der tosende Wind zwischen den Inseln verschwunden war. Wir senkten automatisch die Lautstärke unserer Stimmen.
Der Berliner fragte uns interessiert nach unseren Erfahrungen und Erlebnissen und Birte und ich antworteten ihm gern. Ich mochte den gemeinsamen Rückblick auf unsere Reise mit dem sympathischen Gesprächspartner. Mir wurde bei den Schilderungen der letzten zwei Jahre mit melancholischer Gewissheit bewusst, dass wir uns dem südlichsten Punkt unserer Tour näherten. Der geographische Punkt dieser Landmasse kitzelte nun doch die Gedanken an das Ende unserer Reise hervor. Es war noch nicht das tatsächliche Ende, aber es wurde zumindest sachte eingeläutet. Wir würden bald die Anden verlassen, um in den letzten Monaten in Richtung Nordosten nach Paraguay, Südbrasilien und Uruguay weiterzureisen. In Buenos Aires wollten wir dann den Kontinent verlassen. Ein halbes Jahr später, als wir zu Beginn geplant hatten. Aus zwei Jahren waren zweieinhalb geworden.
Der Berliner schaute Birte und mich an. »Ist schon komisch, wie sehr man durch Alltag und Job beeinflusst ist. Wir besuchen Seminare über Time-Management, unsere Kalender sind in Fünfzehnminutenschritte oder kleiner eingeteilt, wir haben alle möglichen technischen Hilfsmittel, und trotzdem empfinden wir immer Zeitnot.«
Birte lachte kurz auf. »Die Illusion unserer Wohlstandsgesellschaft. Wir meinen immer noch, wir könnten unser Leben in mehrere Leben ausdehnen. Dabei kriegen wir das eine, das wir haben, noch nicht mal auf die Reihe. Wir packen immer noch mehr in eine bestimmte Zeitspanne. Aber dass hinten etwas runterfällt, wenn wir vorne nachstopfen, das wollen wir nicht wahrhaben.«
Der Berliner schaute auf das Wasser. »Dann ist wohl das, was wir gerade machen, der Inbegriff des neuen Trends, wir entschleunigen. Oder wie empfindet ihr das Tempo, das wir gerade mit dem Schiff fahren?«
Wir fuhren tatsächlich sehr langsam. Das Geräusch des Motors war kaum mehr wahrzunehmen. Das ruhige Wasser kräuselte sich lediglich als zarte Bugwelle von uns weg. Aber das allein machte wohl nicht die Empfindung aus, dachte ich. Das Gefühl der Entschleunigung empfanden wir auch, weil wir nur auf eine Sache konzentriert waren. Wir hatten unsere Schiffsfahrt und das Gespräch, mehr nicht. Es klingelte nicht nebenbei das Telefon und es wurde nicht mal eben schnell noch eine Mail geschrieben. Wir zerfledderten unsere Zeit nicht bis zur Sinnlosigkeit, sondern waren mit nur einer Sache befasst. Das Gespräch in dieser atemberaubend schönen Natur hatte unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.
»Ich bin sowieso kein Freund von Schnelligkeit«, sagte Birte, die bestimmt wieder an ihre Übelkeit denken musste. »Für mein Gehirn ist es erholsam, wenn ich keine schnellen und häufigen Sequenzwechsel habe. Es tut mir gut, auf etwas zu schauen, ohne dass es in der nächsten Sekunde wieder verschwindet.
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