iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
unsensible Art des Tourismus nicht vertragen.
Als wir damals im Norden des Kontinents in Alaska waren, hatte ich es noch nicht so empfunden, dachte ich nun.
Birte unterbrach mich in meinen Gedanken. »Wären wir mit der mal-eben-schnell-Mentalität gereist, wäre vieles an uns unbemerkt vorbei gezogen. Vielleicht gerade die Dinge, die nun die intensivsten Erinnerungen unserer Tour ausmachen.«
Ich schaute Birte von der Seite an, als sie das sagte. »Was meinst du genau?«
»Wären wir immer zügig mit anvisiertem Ziel im Kopf über den Kontinent gerast, so schnell wie am Anfang unserer Reise, dann hätten wir das für uns Wesentliche verpasst. Manche Tiere hätten wir nicht beobachten können und Landschaften nicht entdeckt. Die unbedeutenden archäologischen Stätten und unbekannten Naturparks wären unbemerkt geblieben.«
Dabei waren besonders die unbekannten Flecken einprägsam, weil wir sie für uns ganz alleine hatten oder nur mit wenigen teilen mussten, erinnerte ich mich.
»Und ich denke so gern an einige Begegnungen zurück, an Jean und John auf Vancouver Island zum Beispiel.«
In meinen Gedanken lief ein langer Film mit bekannten Gesichtern ab, die überall auf diesem wunderbaren Kontinent verstreut wohnten. Jean und John standen exemplarisch für so viele Personen, die wir zufällig kennengelernt hatten. Jeder hatte uns auf seine Weise bereichert. Sie nahmen uns, obwohl wir völlig fremd waren, bei sich zuhause auf. Zeit war dabei der Schlüssel zu allem. Nicht nur, dass wir uns die Zeit genommen hatten, sondern auch, dass sie ihre mit uns verbringen wollten.
»Mann, wir brauchten aber auch lange bis wir begriffen hatten, dass wir selbst über unsere Zeit bestimmen und Prioritäten setzen konnten. Die Selbstbestimmung hielten wir zwar in den Händen, aber kamen kaum auf den Gedanken, sie zu nutzen«, sagte Birte nachdenklich.
»Auch das mussten wir erst wieder für uns lernen. Aber weißt du noch, als wir uns irgendwann gefragt haben, was für uns das Wesentliche der Reise ist? Was uns wichtig ist?«
»Drei Kernaussagen bringen es noch heute auf den Punkt: »KULTUR des WENIGER«, GESUNDHEIT und ZEIT«, antwortete Birte. Sie musste nicht eine Sekunde über diese Worte nachdenken.
Ich grinste über ihre schnelle Antwort, die mich an mündliche Prüfungen im Studium erinnerte.
Und diese wenigen Worte standen für so viel mehr. Ich verknüpfte in Gedanken sofort den Begriff Gesundheit mit unseren Wanderungen in der Natur. Ich wusste mittlerweile, dass ich körperliche Bewegung wie die Luft zum Atmen brauchte. Nicht nur, um konditionell fit zu bleiben, sondern weil es mich glücklich machte. Auch bei der Wahl unserer Lebensmittel wollten wir keine bequemen Kompromisse mehr eingehen. Und so zogen sich diese Kernaussagen mit ihren vielen Unterpunkten wie ein neuer roter Faden durch unser Leben. Die Inhalte hatten sich in der langen Zeit der Reise, in der wir uns intensiv damit beschäftigen konnten, eingebrannt.
Ich schaute Birte an. Der Begriff Gesundheit schwirrte immer noch in meinem Kopf: »Ich habe mich nie gesünder als auf dieser Reise gefühlt.« Körper, Geist und Seele, dachte ich zufrieden.
Schweigsam setzten wir uns auf zwei große Steine am Ufer und schauten über das Wasser des Beagle-Kanals auf die gegenüberliegende argentinische Seite Feuerlands. Das Wasser schlug leise ans Ufer.
Ich wollte mein Leben nicht in einem rasanten Tempo an mir vorbeiziehen lassen, dachte ich fast kämpferisch. Im Rückblick sollte sich mein Leben lang und ausgefüllt anfühlen. Das konnte ich aber nicht durch Geschwindigkeit, sondern nur durch Inhalt erreichen. Nicht die Menge an Eindrücken macht das Erinnern aus, sondern die Intensität. Ich durfte das Dabeisein nicht mit Erleben verwechseln, sondern musste Momente schaffen, die mich emotional berührten, aufrüttelten oder gedanklich beschäftigten, mich zum Lachen oder Weinen brachten, die etwas in mir auslösten oder mich anschupsten. Mich ganz persönlich.
Birte schaute mich lächelnd an. »Ingo, ich freue mich schon wieder auf zuhause.«
»Ich mich auch. Hast du auch das Gefühl, dass wir am Ende der Reise angekommen sind? Ich meine, nicht nur geographisch.«
»Vor einem dreiviertel Jahr hätte ich deine Frage verneint und gesagt, dass ich noch ewig weiterreisen könnte. Seit kurzem ist es irgendwie anders und ich bin neugierig auf das, was die Zukunft bringt.«
Wir sagten eine Weile gar nichts und schwiegen.
»Sind wir also nicht nur am Ende
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