iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
Wahrscheinlich mag ich mich deshalb so gerne zu Fuß bewegen oder ganz gemächlich mit unserem Camper reisen.«
Die Landschaft zog in einer beruhigenden Langsamkeit an uns vorbei.
»Birte und ich haben bei unserer Planung immer zu anderen gesagt, dass wir uns mit den Ersparnissen neben dieser Reise vor allem Zeit kaufen wollen. Wenn ich auf die vergangenen zwei Jahre zurückschaue, dann erscheint mir die Zeitspanne viel länger. Als hätten wir uns nicht zwei, sondern fünf Jahre Zeit gekauft.«
Der Berliner nickte zustimmend. »Ich weiß, was du meinst. Mir kommt die Zeit auch viel länger vor, seitdem ich unterwegs bin. Zuhause fliegen die Tage nur so vorbei. Die Schnelligkeit wirkt außerdem geradezu spielerisch. Am Ende einer Arbeitswoche schaust du erstaunt zurück und weißt nicht, wo die Tage geblieben sind.«
»Manchmal bekommt das Leben so eine Dynamik, dass man selbst nicht hinterher kommen kann«, sagte ich bei der Erinnerung an die letzten Monate im Job.
Es entstand eine Pause und ich dachte daran, wie sich mein Zeitempfinden auf der Reise verändert hatte. Im Job spielte mein Empfinden kaum eine Rolle. Nur die Zeit als tatsächlicher Fakt war wichtig gewesen: dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr, vierundzwanzig Stunden am Tag, sechzig Sekunden in der Minute.
Wenn ich nun zurückblickte, dann wusste ich genau, dass sich die Zeit unterschiedlich anfühlen konnte. Vielfach vergingen auf der Tour die Tage auch wie im Flug, weil neue Eindrücke, interessante Dinge und spannende Momente uns fesselten. Schaute ich allerdings auf einen dieser Tage zurück, dann erschien er mir viel länger als nur vierundzwanzig Stunden. In meinem Rückblick empfand ich den Tag anders als im Moment des Erlebens,.Total paradox.
Einige Tage in meinem Leben hatten sich dagegen zäh wie Kaugummi angefühlt. In der Zeit meines Burn-out hatten sich die Tage endlos ausgedehnt. Wenn ich jetzt an diese Zeit zurückdachte, dann kam mir der Zeitraum aber gar nicht mehr so lang vor. Es gab vieles, an das ich mich aufgrund meiner geringen Aufmerksamkeit nur noch unscharf erinnern konnte, so als wollte mein Gehirn diesen Teil auslöschen.
Der Berliner räusperte sich. »Ich hab versucht, mich im Job nicht stressen zu lassen. Aber es gelang mir immer weniger. Ich war gestresst und hatte nie Zeit. Irgendwann konnte ich das alles nicht mehr abschütteln, sondern hab viel mit nach Hause in mein Privatleben genommen. Ich musste jetzt einfach die Notbremse ziehen.«
Birte nickte ihm zu. »Ich habe über das Stressphänomen gelesen, dass Zeit und Stress in einen falschen Zusammenhang gebracht werden. Wir denken, dass wir gestresst sind, weil wir zu wenig Zeit haben. Aber tatsächlich sind wir schon gestresst und haben deshalb keine Zeit mehr. Also genau umgekehrt. Interessant, oder? Müssen wir also nur nicht mehr gestresst sein, um wieder Zeit zu haben?« Birte schaute bei ihrer Überlegung gedankenversunken in die Ferne.
Ich musste an all die Bücher und Magazine denken, die in den letzten zwei Jahren durch unseren Camper gewandert waren. Kein Thema war zu abwegig, als dass wir es nicht gelesen und im Anschluss besprochen hatten. Viele Reisende wurde von uns unterwegs auf einen Büchertausch angesprochen. Wir verschlangen die Inhalte der Bücher, so dass es manchmal zu regelrechten Engpässen kam.
Der Wasserweg, durch den unser Schiff nun steuerte, nahm an Breite und Übersichtlichkeit zu. Die schleichende Geschwindigkeit des Frachters war von einer schnelleren abgelöst worden. Ein kalter, starker Wind wehte uns wieder um die Ohren, aber wir verbrachten trotz der Kälte die ganze Zeit an Deck.
»Schaut mal, die Gletscher dort drüben«, sagte Birte aufgeregt. Nun kamen noch mehr Passagiere aus dem Inneren des Schiffs, um die Besonderheit der Landschaft trotz des aufsteigenden Nebels zu betrachten.
Die Darwin-Kordillere mit ihren gletscherbedeckten Bergen tauchte auf. Das auf Feuerland liegende Gebirge bildete die letzte große Erhebung der Anden vor dem Ende Südamerikas. Es waren gewaltige Gletscher, die Frankreich, Italien, Deutschland oder Holland hießen und auch so unterschiedlich wie ihre namensgebenden Länder aussahen. Graue Eismassen schoben sich kalbend in Richtung Wasser oder verschwanden hinter einem Berg in der rauen Natur. Der als Deutschland benannte Gletscher glich einer breiten, mehrspurigen Autobahn, was wir erschreckend passend fanden. Die europäischen Siedler hatten bei der Namensgebung die technisierte
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