iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
der Schulferien gewesen. Keiner wollte dort sein, wo er gerade war. »Mal eben schnell«, schien zur Standardmotivation aller Bewegungen geworden zu sein. Schon an diesem Punkt zeigte sich, dass der frühe Aufbruch am Morgen umsonst gewesen war. Der eingeplante Zeitpuffer für die gesamte Fahrt war weg.
Wir fuhren durch das erste Nadelöhr, Elbtunnel, auf den viele Baustellen mit einspurigen Autobahnabschnitten quer durch die Republik folgten. Zähfließend krochen wir mit der Daueransage des Verkehrsfunks in Richtung Mosel. Die Weinprobe hatte schon lange begonnen und wir waren von Rheinland-Pfalz noch weit entfernt. Unser schlechtes Gewissen wegen der Verspätung wurde noch durch Anrufe unserer Bekannten verstärkt.
Birte biss genüsslich in ihr belegtes Brötchen. Die knusprige Kruste knackte laut. Sie lächelte mich schelmisch an, als die Krümel über den Tisch flogen.
»Lecker?«
»Hmmm«, nickte sie mir über ihr Brötchen hinweg zu.
»Du bist auf der Autofahrt an die Mosel stinksauer auf mich gewesen«, erinnerte ich sie nun an unseren damaligen Urlaub.
Ihr Grinsen verschwand aus dem Gesicht. »Im Nachhinein war ich noch viel zu freundlich. Du bist schon auf dem Zahnfleisch gekrochen und hast dann auch noch so schwachsinnige Verabredungen getroffen. Mal eben schnell quer durch die Republik fahren. Damals hätte ich mich weigern sollen, überhaupt mitzufahren.« Noch beim Rückblick bemerkte ich den Grad ihrer Frustration. Die Sorgen der letzten Monate klangen wieder durch.
Mir hallten noch immer ihre unmissverständlichen Sätze auf der Autofahrt im Ohr: »Wenn du dich umbringen willst, kannst du das alleine tun. Ich werde dir jedenfalls nicht dabei helfen. Am liebsten würde ich zurück nach Hamburg fahren und diesen Irrsinn beenden.«
Ich hatte damals schon bemerkt, dass ich zu weit gegangen war, versuchte es aber herunterzuspielen.
Für das letzte Stück von der Autobahn zum Treffpunkt an die Mosel hatten Birte und ich die Seiten getauscht. Ich fuhr ziemlich schnell, nahm bekannte Abkürzungen über schmale Wege und raste im Zickzack zwischen den Weinfeldern hindurch. Ich wollte die verlorene Zeit aufholen, denn wir waren bereits zwei Stunden verspätet. Birte saß neben mir auf dem Beifahrersitz und starrte nach vorne auf die Straße. Ihr war speiübel von meiner rasanten Fahrt.
Im Nachhinein tat sie mir wirklich leid, weil sie nie kurvige Straßen in Verbindung mit Schnelligkeit vertrug. Sie hatte mittlerweile ein riesiges Sortiment an Tabletten, Kaugummis, Zäpfchen, Akupressurbändern und Pflastern ausprobiert und in ihrer Reiseapotheke verstaut. Nur damals hatte sie nichts griffbereit, weil wir ja eigentlich ganz gemächlich in den ersehnten Urlaub fahren wollten. An ihre Übelkeit hatte ich bei meiner Auswahl der Schleichwege nicht gedacht. Sie hielt wacker durch, ohne sich zu erbrechen.
Als wir völlig fertig an der Mosel angekommen waren, schien sich niemand wirklich über unsere Anwesenheit zu freuen. Es war egal, ob wir da waren oder nicht. Unsere Verspätung wurde stattdessen von den Wartenden in redseliger Weinlaune bissig kommentiert. Es war so, wie es häufig war, wenn man zu spät auf einer Feier oder einem Treffen aufkreuzte: man kam nicht mehr rein. Zumindest ließ es diese Runde nicht zu.
Birte legte ihr Brötchen auf den Teller. »Wenn ich an diesen ersten Urlaubstag mit der Weinprobe zurückdenke, dann wirkt er immer noch völlig absurd: Als wir nach Stunden auf den brechend vollen Autobahnen endlich angekommen waren, hast du dort mit schmerzverzerrtem Gesicht mit einem Weinglas in der Hand gestanden und gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Du hast da schon ausgesehen, als würdest du jeden Moment zusammenbrechen. Außerdem warst du gedanklich völlig abwesend und so erschöpft, dass du sogar im Garten des Weinguts eingenickt bist. Und am nächsten Tag hast du mir unter Tränen auch noch von deinen neuen Ohrenschmerzen erzählt.«
»Manchmal ist man ganz schön unvernünftig und geht mit sich selbst schlecht um.« Die Erinnerungen an die genannten Urlaubstage verursachte noch immer ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend. »Ich denke ungern daran zurück«, gestand ich mir laut ein. Ich trank von meinem heißen Tee.
»Du hast dich ständig damit vertröstet, dass wieder ruhigere, stressfreie Zeiten kommen werden. Wir haben uns von einer Etappe zur nächsten gehangelt, von einem Wochenende zum anderen. Und das gleiche mit den Urlauben.«
Weiß ich doch, dachte
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