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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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zwanzig Jahren von einer Freundin geschrieben worden. Ich warf ihn ohne zu zögern in die neben mir liegende Mülltüte. Die verflossene Freundin nahm keinen Platz mehr in meinem Herzen ein und würde es auch nie wieder tun. Es waren Zeilen, die ihre Bedeutung verloren hatten. Über andere Briefe freute ich mich beim Lesen und legte sie in die Schachtel zurück, um sie irgendwann wieder zu lesen. Danach folgten Kartons mit Aufschriften wie WEIHNACHTEN, OSTERN oder ERINNERUNGEN. Aber was waren die Erinnerungen wert, wenn ich mich nicht mal mehr an sie erinnern konnte? Meine eigenen Erinnerungen, die zu schwach waren, um sie im Kopf nachhaltig zu verankern.
    Der Umfang der Mülltüte schwoll an. Weitere Haufen mit Andenken und Nippes wie ausländische Bierdeckel, bedruckte Zuckertüten und grausige Werbe-Caps nahmen Teile des Bodens ein. Einen Berg wollten wir auf Flohmärkten verkaufen und ein weiterer sollte verschenkt werden. Ich zog keinen Nutzer mehr aus den aussortierten Gegenständen. Sie waren für mich stattdessen zu Ballast geworden. Dafür waren sie trotzdem für andere noch nicht wertlos. Flohmärkte waren ein guter Ort der Bodenhaftung und Besinnung, denn die meisten suchten in der Frühe nicht nach nostalgischen Klassikern oder verschollenen Kunstwerken, sondern hatten wenig Geld, um sich Neues zu kaufen.
    Nach einer Weile ragten immer mehr Kartons vor mir auf. Ich fand Gefallen am selbst verordneten Häuten. Mit dem Umfang der aussortierten Sachen wuchs mein Stolz, aber auch mein eigenes Unverständnis. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich über Jahre hinweg Raum in der Schmetterkammer verschwendet hatte, um anderes weiterhin in der Wohnung zu horten. Auch bei uns standen in der Wohnung überflüssige Dinge, für die wir scheinbar zu wenig Stauraum hatten und die sich nie aus den Augen verbannen ließen. Von Raumknappheit und Enge in einer Hundert-Quadratmeter-Wohnung zu sprechen war wirklich irrwitzig. Ich musste mir an den Kopf fassen. Manchmal fiel einem die eigene Meise zu offensichtlich auf.
    Ich fand immer mehr Gefallen an meiner Aufgabe und schwelgte dabei in meiner eigenen Gedankenwelt: unser Privileg, vieles kaufen zu können, engte uns teilweise ein oder war zu Ballast geworden. Dabei gehörten Ingo und ich noch nicht einmal zu den Verirrten, die in Massen von Prestige- und Konsumobjekten versanken, nur um in einer bestimmten Gesellschaftsschicht mitspielen zu können oder von ihr akzeptiert zu werden. Wir waren auch nicht zu materiell Abhängigen mutiert, die ihr Selbstwertgefühl durch Identifikationsmerkmale zur Schau tragen mussten, wie Schweineohren ihre Herkunftsmarke. Aber viel Unnützes oder mehrfach Vorhandenes gab es bei uns trotzdem reichlich. Redundanz, was für ein böses Wort, dachte ich nun.
    Ein Foto flog mir beim Anheben eines Buches entgegen. Vor meinen Füßen lag die Abbildung meiner US-amerikanischen Gastfamilie. Das Foto stand für so viel mehr als nur ein normales Erinnerungsfoto. Es war in meinen Augen ein sinnvoll ausgegebenes Geld gewesen: Ich hatte mit der Note fünf auf dem Gymnasium das Schulfach Englisch abgegeben. Mit der Tatsache, dass mir dieses Instrument zur Verständigung auf ewig vorenthalten werden sollte, konnte und wollte ich mich allerdings nicht abgeben. Die Sprache war das Werkzeug, um mir einen kleinen Eintritt zu anderen Kulturen zu ermöglichen, und den wollte ich unbedingt. Ich machte mich also nach der Schule selbst auf den mühsamen Weg, Englisch durch Auslandsaufenthalte und unzählige Sprachkurse zu lernen. Damals wohnte ich sechs Monate bei einer US-amerikanischen Gastfamilie in Boston und besuchte dort Sprachkurse. Um den Auslandsaufenthalt finanzieren zu können, passte ich als Gegenleistung auf ihre zwei Kinder auf.
    Ich schaffte mir damit einen Wert im Kopf und bereicherte mich ganz persönlich. Nichts zum Zeigen, Anfassen oder Angeben. Mit dem Verdienst meiner Studentenjobs hatte ich mir unsichtbares Wissen eingekauft. Mein Ziel war für andere unsichtbar, aber für mich die Erfüllung eines bedeutsamen Wunsches. Englisch half mir, mich mit Menschen unterschiedlichster Nationen zu unterhalten.
    Mittlerweile hatte ich aber immer mehr den Eindruck, dass Fremdsprachen als Indikator für den gesellschaftlichen Status herhalten mussten. »Mein Kleinkind spricht schon zwei Fremdsprachen. Das Sprachfenster öffnet sich im Babyalter und wird von uns durch spielerische Nachhilfe gefördert.« Sätze wie diese hörte man häufiger.
    Das war

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