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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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Konsumgüter bestimmt gewesen. Auch dies war eine bewusste Wahl gewesen, die uns in der jetzigen Situation Flügel für die freie Entscheidung verlieh. Die familiäre Erziehungsregel »erst sparen, dann kaufen« zahlte sich für uns aus. Und Ingos rheinländische Mundart sagte dazu nur: »Vun nix kütt nix«, von nichts kommt nichts.
     
    Ich stand noch immer auf dem Balkon und schaute runter auf die Straße. Veränderungen gehörten zum Leben, hielt ich mir vor Augen. Nichts ließ sich für die Ewigkeit konservieren, auch wenn es schön war. Noch nicht einmal die alten Gehwegplatten vor unserem Haus, die durch perfekte neue ersetzt worden waren. Protzige Granitsteine und uniforme Glasbushaltestellen in grässlichen Farben standen mittlerweile am Strandweg. Der alte Charme, die einzigartige Patina des Stadtteils, verschwand. An ihre Stelle trat eine schicke uniforme Eintönigkeit.
    Jedes Jahr das Gleiche, dachte ich lächelnd, als ich auf die Straße schaute. PS-starke Motorengeräusche zogen meine Aufmerksamkeit auf sich. Die beruhigenden Laute aus Hundegebell und Kinderlachen erstarben im dröhnenden Geräuschpegel der Technik. An den sonnigen Wochenenden glich der Weg entlang des Elbstrands einem kilometerlangen Laufsteg. Menschen flanierten wie Models auf den Gehwegen und die geteerte Straße wurde mit Luxuskarossen gepflastert. Edles Blech schob sich trotz Durchfahrtsverbotsschildern durch die enge Einbahnstraße unter unserem Balkon vorbei. Das Portemonnaie eines Porsche Cabriolet-Besitzers schien so dick gepolstert zu sein, dass er sich nicht durch einen läppischen Strafzettel von seiner Show abhalten ließ. Diese Autobesitzer genossen viel zu sehr das Schritttempo in der schmalen Straße entlang des Elbstrands. »Summerfeeling« mit geöffnetem Verdeck im Flaniertempo. Der Strandweg war eine der wenigen Straßen Hamburgs, wo die Geschwindigkeitsbegrenzung, zumindest im Sommer, unterschritten wurde.
    Die Vorbeifahrenden zeigten ihr erhabenes Gefühl in ihren auf Hochglanz polierten Männerspielzeugen. Junge Frauen brillierten ebenso auf den Beifahrersitzen wie gealterte, die künstlich auf jugendlich getrimmt wurden. Hanseatisches Understatement prallte auf neureiche Dekadenz. Aber trotz ihrer teuren Prestigeobjekte bissen sich die protzenden Hochkaräter am alten Hamburger Geld die Zähne aus. Denn Seiteneinsteiger waren mit ihrem Vermögen, egal ob ergaunert, geerbt oder doch selbst mühsam erarbeitet, in den erlauchten Kreisen der Hansestadt unerwünscht. Man blieb gern unter sich. Da konnten noch so viele edle Rassepferde unter der Motorhaube Platz finden. Die Neureichen oder diejenigen, die unbedingt dazugehören wollten, blieben Krethi und Plethi.
    Ich liebte meinen versteckten Blick vom erhöhten Balkon. Die Leute kamen sich so unbeobachtet vor. Auch das verhuschte Pärchen, das im hohen Gras eine schnelle Nummer schob, um danach blitzschnell in zwei verschiedene Richtungen den Strand zu verlassen. Der leicht süßliche Gestank von verwesten Tierkadavern im Gestrüpp schien sie nicht zu stören. Auch die edel gekleidete Frau, die die Scheiße ihres Königspudels als Tretmine liegen ließ, kam sich offensichtlich unbeobachtet vor.
     
    Ich brachte das Frühstücksgeschirr in die Küche, bevor ich zur Abstellkammer im Hausflur ging. Eine Freundin nannte ihren Abstellraum liebevoll »Schmetterkammer«. Wie passend der Name das Kabuff beschrieb, prallte mir beim Öffnen der Tür entgegen. Es war ein dunkler staubiger Verschlag, dessen Regale sich unter dem Gewicht von unzähligen Kartons durchbogen. Oft gebrauchte Plastikflaschen, wie Wasch- und Putzmittel, standen in greifbarer Nähe. Dahinter verbargen sich die Regalhüter, wie Inline-Skates oder Surfausrüstungen, deren Kontakt man viel zu selten oder gar nicht mehr suchte.
    Es gab für mich einen guten Grund, das Feindesland der Schmetterkammer zu betreten. Ende des Jahres würde unser gesamter Besitz in ein kleines Lager umziehen müssen. Es war zu klein, um Nutzloses und Unsinnigkeiten unbeachtet mit umziehen zu lassen. Eine Pflicht lag vor mir, die auch eine Chance barg.
    Ich nahm nach und nach die Kartons von den Regalen und trug sie auf den Boden vor dem Balkon. Ein guter Platz, wie ich fand, um mich durch den Inhalt alter Kartons zu wühlen. BRIEFE, stand mit Filzstift geschrieben auf dem ersten. Wann war die Zeit vorbeigegangen, in der man sich mit Freunden Briefe geschrieben hatte?, überlegte ich. Ich las den Absender eines Briefes. Er war vor

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