iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
gezwungen uns jeden Kauf mehrfach und gründlich zu überlegen. Zu viele Dinge würden uns einengen. Außerdem stellte alles Wertvolle einen Anreiz für Diebe dar. Beim Einbruch in unseren Camper in Kanada mussten wir hautnah erleben, dass Materielles vergänglich, aber auch vielfach nicht wichtig war.
Es war für uns spannend festzustellen, wie wenig wir auf unserer Reise wirklich brauchten! Oft hatten wir uns wochenlang keiner Großstadt angenähert. In abgelegenen Naturparks und kleinen Orten waren wir meist fern von jeglicher Werbung und gesellschaftlichen Dresscodes gewesen. Dadurch wurden die künstlich stimulierten Bedürfnisse von den natürlichen und essentiellen abgelöst. Mit diesem Abstand war es für uns leicht geworden, die fremdgesteuerten Bedürfnisse als das zu enttarnen, was sie waren: sinnlos und manches Mal überflüssig.
Unter diesen Umständen erhielten wir die Möglichkeit, unsere echten Bedürfnisse neu zu entdecken. Das fing beim Einkauf unserer Lebensmittel an. Wir aßen wieder das, wonach unser Körper verlangte, möglichst frisch und je nach Jahreszeit und Region auf den kleinen Straßenmärkten von lokalen Bauern angeboten. Ohne Verpackungsmüll und fast ausschließlich ohne Spritzmittel. Diese, konnten sich die Kleinbauern ohnehin nicht leisten.
Es gab nicht viel, was wir vermissten. Und wenn, dann waren es eher einfache Dinge wie ein Vollkornbrot. Die Freude war riesig, als wir einen deutschen Bäcker mit Sauerteigvollkornbrot in den ecuadorianischen Anden entdeckten.
Ohne Frage ist es schön, sich etwas kaufen zu können, dachte ich nun inmitten des unbegrenzten Wohlstands. Darauf wollte ich auch in Zukunft nicht verzichten. Unsere Reise hatte uns nicht zu absoluten Konsumverweigerern mutierten lassen. Manche Dinge genossen wir zu sehr, qualitative Lebensmittel gehörten eindeutig dazu. Auch unser Camper war für uns ein angenehmes Luxusgut. Aber selbst die Art und Größe unseres Fahrzeugs stellten wir mittlerweile in Frage. Wir wären auch mit einem kleineren Wohnmobil zufrieden gewesen, oder mit Fahr- oder Motorrädern, im Grunde mit allem, was uns unabhängig fortbewegt hätte.
Mittlerweile empfanden wir es als besonders erfüllend, uns der Optionsvielfalt bewusst zu sein und eine eigene Wahl sinnvoll treffen zu können. Immer öfter stellten wir uns Fragen wie »Brauche ich es wirklich oder verfalle ich einem spontanen Kaufimpuls? Hält die Zufriedenheit über einen längeren Zeitraum an oder sind es nur einige Stunden der Erfüllung, die der Kauf bringt? Was kostet es? Dazu gehörte für uns nicht nur das Geld, sondern auch der Einsatz, um es zu verdienen.«
Sprachen wir wie selbstverständlich vor unserer Reise davon, dass wir auf etwas verzichten MUSSTEN, bekam das WENIGER auf der Tour eine völlig neue Qualität. Die »Kultur des Weniger« wurde zur Bereicherung. Wir empfanden sie nicht mehr als Verlust. Den subtilen Aufforderungen zum Kauf kopf- und kritiklos nachzugeben und mühsam verdientes Geld auszugeben reduzierte unsere Lebensqualität. Wir durften erfahren, dass wir mit unseren Entscheidungen gegen sinnlosen Konsum und dem wieder erlangten Bewusstsein ein besseres Leben führen konnten.
Leider hatten wir in der Vergangenheit häufig vergessen, dass eine Kaufentscheidung neben Geld immer auch einen weiteren, oft hohen Preis forderte: erhöhte Arbeitsleistung, Zeitaufwand, Einschränkungen, Umwelt- und Gesundheitsschäden, finanzielle Abhängigkeiten oder einfach nur ein schlechtes Gewissen. Meistens forderte die impulsive Entscheidung mehr als die neuen Dinge an Zufriedenheit, Glück oder Nutzen brachten.
Der Preis hat viele Gesichter, dachte ich, als eine junge, übergewichtige Frau in der Einkaufsstraße an mir vorbei ging. Eine dicke Fettschürze hing weit über ihrem Schambein elastisch nach unten. Ihre Hüften, Knie oder Fußgelenke konnten aufgrund ihres Gewichts wahrscheinlich kaum schmerzfrei bewegt werden. Sie ging nicht, sondern wackelte in Zeitlupe wie eine Schwimmboje auf dem Wasser.
Ihr Anblick machte mich betroffen. Offensichtlich wurde sie durch eine besonders unangenehme Variante des ZUVIEL beherrscht und sie bezahlte bereits jetzt einen hohen Preis dafür.
Dabei ist unser Handlungsspielraum als Mitglieder einer wohlhabenden Gesellschaft gewaltig, schoss es mir in den Kopf. Wir halten die Fäden in der Hand. Im Gegensatz zu den meisten Menschen unserer Welt haben wir eine Option zur Reduktion: »Downshifting« oder im Fall der fettleibigen
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