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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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lobenswert. Wenn aber das Kind in seiner Muttersprache nichts Gescheites zu sagen hatte, dann auch in keiner anderen eingetrichterten Fremdsprache. Mit einer neu erlernten Sprache musste doch auch die Neugier auf fremde Menschen und andere Kulturkreise geweckt werden, so empfand ich es zumindest. Ansonsten würde das theoretische Wissen nur einem vollgestopften Bücherregal ähneln, dessen Bücher nie gelesen oder deren Inhalte nie verstanden wurden. Die Bücher blieben das, was sie waren: bedruckte Seiten. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Oder musste der Dreikäsehoch mit seinen Sprachfähigkeiten nur die Suppe von Versäumnissen seiner Erziehungsberechtigten auslöffeln?
     
    Nach der Befreiungstat in der Schmetterkammer tobte ich meinen Drang des Häutens weiter in der Küche aus. Mein T-Shirt klebte bereits nass geschwitzt an meiner Haut. Ich geriet regelrecht in einen Aufräum- und Entsorgungsrausch.
    Jeder mochte Aufbewahrungskörbe vom schwedischen Möbelhaus. Ich auch, denn dadurch sah alles so herrlich aufgeräumt aus. Dinge konnten aus den Augen verbannt und in dunkle Tiefen verdrängt werden. Die alten Bonbons am Boden der Körbe zerfielen ungesehen zu Staub. Und die abgelaufenen Verfallsdaten der Nudelpackungen mit der Tannenbaumpasta, den roten Spaghetti oder Trüffelnudeln sah darin auch keiner. Die Nudeln waren Mitbringsel, Geschenke, Langeweileeinkäufe und Besonderheiten gewesen, aber bestimmt keine schlichten Grundnahrungsmittel.
    Ich holte auch einen fabrikneuen Tortenheber und ein unnützes Wiegemesser von Tchibo aus der tiefen Versenkung. Beides hatte ich nie gebraucht. Sie schlummerten nun schon jahrelang von mir ignoriert am Boden eines Aufbewahrungskorbs. Zumindest hingen keine Preisschilder mehr dran. Für die meisten Aufgaben in der Küche benutzten wir sowieso das große Messer, das im Messerblock auf der Anrichte stand. Zwischen mir und den Gegenständen von Tchibo bestand keine Verbindung. Sie waren völlig charakter- und wurzellos. Sie bestachen nicht einmal durch simple Schönheit oder Individualität.
    Würde ich dagegen einen gravierten Tortenheber meiner Großmutter in den Händen halten, hätte kein Stück Kuchen über die schnöde Klinge eines Messers springen müssen. Ich wäre achtsam mit meinem Lieblingsstück umgegangen. Nicht wegen seines materiellen Wertes, sondern weil es von Oma war. Als sie noch lebte, lag das wenige kostbare Geschirr im Schrank in »der guten Stube«. Vieles schlummerte in seiner Originalverpackung, in die es nach jedem Gebrauch zurücksortiert worden war, jede Gabel für sich und dadurch kratzfrei. Das gute Besteck zierte nur an ausgewählten Tagen den Esstisch. Die schönen Dinge wurden weggelegt und aufgespart, für Tage, die niemals gekommen oder viel zu schnell vorbeigezogen waren. Das war das andere Extrem zum heutigen Konsumverhalten, dachte ich wehmütig. Ich drehte den nichtssagenden Tortenheber von Tchibo in meiner Hand. Daher kam wohl auch der Ausspruch: »Dinge, die die Welt nicht braucht.«
    War es mein Geld gewesen, dass für diese Sinnlosigkeit verschwendet worden war oder das Geld eines anderen? Selbst das wusste ich nicht mehr. Oder war es in einem dieser Momente gekauft worden, in dem es egal gewesen war, wofür das Geld ausgegeben wurde?
    Manchmal saß das Geld einfach locker in der Tasche, gestand ich mir selbst ein. Waren eigentlich alle Verdiener und Geldbesitzer in unserer Industrieheimat zum Konsum verdammt?, fragte ich mich skeptisch. Denn rein rational verteufelten wir doch die globalen Folgen des Konsums und standen dem Wirtschaftswachstum kritisch gegenüber. Wir kannten nicht nur die schillernde Fassade, sondern auch was dahinter steckte.
    Aber beim Shoppen kam das logische Denken einfach öfters ins Stocken oder glich einem Totalausfall. Auch ich sehnte mich manchmal nach verführerischen neuralgischen Feuerwerken. In meinen Gehirnwindungen und Eingeweiden sollten Glückshormone explodieren. Das passierte nicht oft, aber wenn, dann richtig. Ich wollte mir in den Momenten »etwas gönnen«, eine Phrase so wahr wie abgedroschen.
    Dabei war Konsum manchmal nicht mehr als eine Selbstbelohnung, ein lobendes Kopfstreicheln und eine erkaufte Anerkennung. Spendierfreudig wurde das Schmerzensgeld für getane Arbeit ausgegeben. Das gezahlte Geld war eine Art Opfergabe an die verflogene Lebenszeit. Zeit, die man wiederum mit dem Geldverdienen verbracht hatte. Bei einigen Menschen schien Konsum sogar eine Möglichkeit zu sein, das

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