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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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Decke. Die Treppen unterhalb der Kuppel führten zu einer Empore, ähnlich einer Kirchenkanzel.
    Nun hatten es Fresken sogar in einen Einkaufstempel geschafft, dachte ich noch nicht einmal verblüfft. War es soweit gekommen, dass Konsum die neue Religion war und sich damit ein neuer Glaube unbemerkt verbreiten konnte? Ich fragte mich, wo das erlösende Heil gesucht werden sollte? Zwischen den Regalen in den glamourösen Läden? Waren die Einkäufe und aufwendigen Verpackungen unsere neuen Insignien, die Devotionalien des Konsums?
    Mein Nacken verkrampfte sich vom Hochschauen auf die Fresken der Kuppel. Eine Frau rempelte mich mit großen Tüten in der Armbeuge unsanft an. Sie stolzierte ohne ein Wort der Entschuldigung mit einem Mobiltelefon in einer Hand und einem Pappbecher mit Kaffee in der anderen. Selbst auf ihren mörderisch hohen Absätzen geriet sie nach ihrem Rempler nicht ins Straucheln. Vielmehr schaute sie mich nur kurz abschätzend an, als würde sie mir sagen wollen, dass ich gefälligst nicht tagträumend in der Gegend herumzustehen habe.
    Ich sah in die Gesichter der einkaufenden Menschen und ließ die Atmosphäre auf mich wirken. Was machten sie, wenn die schillernde Welt des Konsums so verlockend war, aber sie nicht das nötige Kleingeld hatten? Bei meiner Frage erinnerte ich mich an die korrupten Polizisten. Es gab eben verschiedene Möglichkeiten, sich zusätzliches Geld zu beschaffen, um intensiver in die Konsumwelt einzutauchen. Korruption war eine davon.
    Ich stand inmitten dieses Konsumtempels und schaute an mir herunter: Während der letzten zweieinhalb Jahre hatte ich meinen persönlichen Bedarf an Kleidung reduziert. Klamotten wurden wieder aufgetragen. Meine Turnschuhe hatten mich bereits viele Kilometer weiter als während eines üblichen Produktlebens gebracht. Ich hatte eine meiner besseren Jeanshosen an, die allerdings auch von einem Kaktus am Bein durchlöchert war. Und mein orangefarbener Fleecepullover hatte zwar unterwegs die Farbe eingebüßt, aber wärmen tat er mich noch immer.
    Wann hatte ich das letzte Mal Kleidung wirklich aufgetragen? Ich konnte mich auch nicht mehr daran erinnern, dass ich vor unserer Reise irgendetwas Größeres selbst genäht hatte. Nun tat ich es. Lieblingssachen blieben dadurch länger in Gebrauch. Stoffflicken wurden sorgfältig per Hand auf unsere Hosen genäht. Interessanterweise glichen diese dem modernen Look. War es nicht dekadent, dass wir als Konsumenten zerfledderte, fadenscheinige Neuware als »Vintage« mit »Used-Look« akzeptierten? Und dafür auch noch einen hohen Preis bezahlten!, dachte ich beim Blick auf meine Hose.
    Im Vergleich zu den meisten Menschen in dieser noblen Einkaufspassage wirkte ich nicht elegant, sondern eher sportlich gekleidet. Ich fühlte mich nicht unwohl inmitten von Pumps, Hosenanzügen, Blusen und Lippenstift. Aber ich war hier nicht mehr so unbeschwert bezüglich meines modischen Erscheinungsbildes wie die vielen Monate zuvor. Die Maßstäbe hinsichtlich des Dresscodes begannen sich in dieser Großstadt mit ihrer Atmosphäre des Konsums merklich zu verändern. Aber egal, wie ich gekleidet war, ich erhielt den Bonus einer westlich aussehenden Touristin. Sogar in meinem selbstkreierten Vintage-Look ließ mich jedes Fünf-Sterne Hotel ihr Klo benutzen oder mich an der exklusiven Dachterrassenbar etwas trinken. Westlich, hellhäutig und blond wurde vielfach mit wohlhabend und respektabel gleichgesetzt, auch wenn die Kleidung dies nicht ausstrahlte.
    Es war interessant, wie unterschiedlich die Menschen unterwegs auf unser Erscheinungsbild reagiert hatten. Häufiger fielen Blicke über unsere abgetragene Kleidung, das nicht vorhandene Make-up, fehlende Prestigeobjekte wie Schmuck und Uhren. Wir entsprachen nicht dem gewöhnlichen Bild von ausländischen Pauschaltouristen. Polizisten, Kellner, Hotelbesitzer oder Mechaniker, sie alle konnten uns schwer einschätzen.
     
    Ich verließ die noble Einkaufspassage und sah in meiner Kleidung in Jeans, Turnschuhen und Fleecepullover wieder wie eine von vielen im Strom der Passanten aus.
    Ingo und ich hatten einige unserer Verhaltensweisen während der Tour verändert, dachte ich zurück. Es gab keine Gründe mehr für schnellen Konsum, Selbstbelohnungen oder Entschädigungen nach arbeitsreichen Wochen. Nur kleine Erinnerungsstücke wie Alpaka-Wollmützen oder geknüpfte Stoffarmbänder hatten es bis in unseren Camper geschafft. Der Platz dort war begrenzt, deshalb waren wir

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