iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
Anblick eines deutschen Kennzeichens beschwingt, klopften wir an den Camper. Uns war es egal, ob Pinneberger oder Hamburger. Wir freuten uns auf ein Treffen mit hoffentlich netten Landleuten.
Die Tür schwang auf. Ein älteres Paar im Rentenalter blickte uns aus trüben Augen an und bat uns nach einem kurzen Gespräch herein.
Ein kleiner Raum empfing uns, in dem der unterschwellige Gestank des entsorgten Klos und zu langsam getrockneter Frottee-Handtücher in unsere von Frischluft verwöhnten Nasen strömten. Dazu mischte sich in den Gelsenkirchener Barock der abgestandene Mief von menschlichen Ausdünstungen. Die Wohn-Geruchskombination wurde mit zuvor gebratenem Fisch in viel Butter gesteigert.
Vielleicht erwartete uns ein interessanter Abend mit sympathischen Landsleuten trotz stickiger Luft, dachte ich gespannt. Es war außerdem zu spät, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen.
Die grobe Hand des Mannes fuhr über die Sitzecke und stopfte alles Hinderliche an den Rand der Bank. Eine gemusterte und lauwarm vorgesessene Polstergarnitur kam zum Vorschein, die fadenscheinig die gelbe Schaumstofffüllung offenbarte. Wir setzten uns in die vorgeformten Furzmulden.
»Trinkt ihr Tee oder Kaffee«, wurde von der Frau höflich in die Runde gefragt.
»Ich trinke gerne einen Tee«, antwortete Birte.
»Da schließe ich mich an. Danke.« Aber nur in einer Tasse mit motivierenden Sprüchen wie » Bester Chef« oder » Bitte nicht stören, hier wird gearbeitet«, dachte ich weiter. Irgendwie erwartete ich in so einer Campingkulisse diese Art von Trinkbecher.
Der Mann räumte noch störende Dinge in den hinteren Teil des Wohnmobils. Während Birte ein Gespräch mit der Frau begann, schaute ich mich um. Der alte Kessel, der wohl schon jahrelang neben der verbrutzelten Bratpfanne stand, hatte, von der Fettkruste zu urteilen, bereits unzählige Bratorgien hinter sich. Das heiße Teewasser pfiff im Wasserkessel, glücklicherweise hermetisch nach außen hin abgeschirmt.
Der Pinneberger kam zum Tisch zurück und setzte sich uns gegenüber. Mein Blick fiel in den weiten Ausschnitt des Mannes. Das Hemd des unbekannten Deutschen war weit aufgeknöpft und ließ einen gewollten Blick auf seine haarlose Brust zu, die, ebenso wie seine kraftlosen Arme, unmuskulös und eingefallen wirkte. Die konturlosen Streichholzbeine verbarg er unter dem Wohnmobiltisch. Mein kurzer Blick war auch auf seine Shorts gefallen, bevor er sie verstecken konnte. Sie war übersät von undefinierbaren Flecken, die von den letzten missglückten Toilettengängen, ebenso wie vom Speiseplan berichtete. Dreck war nicht gleich Dreck, wie wahr! Er ahnte das, denn die Schnelligkeit mit der er sich in seiner Sitzbank versteckte, erschien unnatürlich.
»So, so, aus Hamburg kommt ihr«, nickte der Mann wissend. Die unterschwellige Rivalität zwischen dem provinziellen Pinneberg und dem großstädtischen Hamburg schwang leicht mit. Mit dieser Anspielung war er jedoch bei mir an die falsche Person geraten, denn ich kam ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen.
Er stellte uns Fragen und wir mussten uns erklären: woher wir kamen, wie lange wir unterwegs waren, wieso wir in unserem Alter schon so eine Reise machen konnten. Erklärungen mussten her, wie immer wenn Deutsche auf Deutsche trafen. Im Ausland waren Erklärungen noch notwendiger, weil Neuigkeiten rar waren und die Wissbegier dadurch noch mehr wuchs. Außerdem gab es wenige Hinweise für die gesellschaftliche Einordnung, wie Haus, Auto, Job oder Familie. Diese Lücken mussten durch Fragen und Antworten gestopft werden.
Die Frau aus Pinneberg blieb still im Hintergrund und verfolgte unser Gespräch aus sicherer Entfernung. Mit ihren haselnussbraunen Haaren, im geschätzten Alter von sechzig Jahren, war sie eine attraktive Frau. Allerdings besaß sie eine zerbrechliche Schönheit, die zu ihrem Mann im krassen Widerspruch stand. Sie war uns im Gegensatz zu ihrem Mann auf Anhieb sympathisch.
Nachdem wir unsere Reise kurz umrissen und ihnen den wahren Anstoß zur Tour, nämlich Ingos Burn-out, nicht erzählt hatten, sprudelte es ungezügelt aus ihm heraus. Er war Physiker. Physiker, also, wirklich Physiker. Er kokettierte mehrere Male in wenigen Sätzen mit seiner Ausbildung und lachte zwischen den Sätzen. Er gehörte zu den Personen, die zu den eigenen Scherzen das Lachen gleich mitlieferte.
Unser Gesprächsgeplänkel über die gemeinsame Heimat endete in dem Moment abrupt, als ich von den nordamerikanischen
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