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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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Ureinwohnern zu sprechen begann. Die schneidende Stimme des Physikers durchfuhr den Raum. »Indianer taugen alle nichts. Das sind lediglich primitive Wilde, die nichts erfunden haben.«
    Sprachlos schauten Birte und ich den vermeintlich gebildeten Physiker an. Auf solch einen emotionalen und plumpen Gefühlsausbruch waren wir nicht vorbereitet gewesen.
    Schnell schoss er nach: »Haben die was erfunden, von dem ich nichts weiß?« Eine rhetorische Frage, die keine abweichende Antwort zuließ. Nicht von uns, schon gar nicht von seiner schweigsamen Frau und augenscheinlich von niemandem ließ er eine andere Meinung zu.
    Musste man die weltliche Daseinsberechtigung durch eine Erfindung untermauern oder war es wirklich so simpel, andere Lebensformen daran zu messen, ob sie etwas Produktives, also Messbares erschaffen hatten? Wir holten gerade Luft zum Antworten, als er noch vehementer wurde. »Nicht mal eine ordinäre Schrift konnten sie«, legte er mit sachlicher Miene nach. Der Mann meinte etwas zu wissen!
    Ich hielt dagegen: »Sie hatten zwar keine schriftlichen Überlieferungen und somit auch keine Bücher. Aber sie saßen zusammen und vermittelten ihre Kenntnisse verbal. Auge in Auge am Lagerfeuer...«
    Der Physiker unterbrach mich ruppig im Satz und konterte: »Und mit saufen. Sich mit billigem Fusel den winzigen Verstand aus dem Kopf saufen, das können sie heute immer noch. Holzen ab und schießen alles über den Haufen, was ihnen vor die Flinte kommt«, hörten wir ihn poltern. Dabei vergaß er nicht, alles mit dem Zusatz »ich als Physiker« zu untermauern, womit er seine Glaubwürdigkeit und sein Wissen zu unterstreichen versuchte. Seine Meinung war unumstößlich.
    Ich stöhnte innerlich auf. Manche Dinge wusste ich todsicher, bevor sie passierten. Der Griff in warm und weich schien hier vorprogrammiert, wobei das assoziierte Häufchen dadurch auch nicht charmanter oder gar berechenbarer wurde. Wir befanden uns nicht in einem netten Gespräch zwischen Landsleuten, sondern in einem intoleranten Monolog. Wir sprachen zwar dieselbe Sprache, aber irgendwie auch nicht. Auch wenn nur wenige Kilometer Pinneberg von Hamburg trennten, taten sich hier in diesem kleinen Wohnmobil unüberbrückbare Abgründe auf. Birte und ich rückten betreten auf unseren Sitzpolstern herum, während er ohne Punkt und Komma weitersprach.
    Im Eifer lösten sich kleine Speicheltropfen aus dem Mund des Physikers. Gewehrfeuerartig. Der Speichel wurde durch den wortgewaltigen Schwall aus seinem Mund zu weißem Schaum geschlagen und haftete sich verkrustet an seine Mundwinkel.
    Birte und ich unternahmen mehrere Versuche der Gegenwehr in dieser kulturellen Schlacht, aber ein Durchkommen war nicht möglich. Wir befanden uns in einem Gefecht, das ein Pinneberger gegen die Ureinwohner dieses Kontinents schlug und die wir zusammen mit ihnen verloren. Seine Argumentation war nicht einmal im Ansatz stimmig, dafür aber impulsiv und vor allem laut. Immer wieder lud unser Landsmann seine verbalen Waffen nach. Eine Salve folgte der nächsten. Wir fühlten uns in seiner Nähe immer unwohler. Ständig folgte die Erklärung »ich als Physiker«. Eine Berufsbezeichnung und zugleich Berufung, die nichts im Unklaren lassen sollte, seine Fähigkeiten ebenso wenig wie seinen Stellenwert in der Gesellschaft, den er seit seinem Hochschulabschluss vor vierzig Jahren einforderte.
    »Wer ist eigentlich Deutscher Meister im Fußball geworden?«, seufzte ich mit meinem Blick zum Physiker gerichtet. Fußballergebnisse interessierten mich momentan überhaupt nicht, aber erfüllten hoffentlich ihren Zweck des verbalen Ablenkungsmanövers, denn desertieren war in unserer jetzigen Situation undenkbar.
    »Was für eine dumme Frage!«, zeterte der Physiker skrupellos. Er hatte sich auf uns eingeschossen. Seine Frau schaute verlegen zur Seite. Kein einziges Wort hatte es bis jetzt über ihre zusammen gekniffenen Lippen geschafft.
    »Die Bayern sind schon wieder Deutscher Meister geworden. Zum einundzwanzigsten Mal halten sie die Meisterschale in den Händen. Der fette Hoeneß. Unsympathischer Haufen, die Bayern. Aber Fußballspielen können sie, dass muss ich ihnen lassen«, antwortete der Physiker gönnerhaft, obwohl er das schlechte Ergebnis seines norddeutschen Vereins mit der blauen Raute als persönliche Niederlage vor Augen sah.
    »Ach ja, die Bayern«, ächzte ich mittlerweile abwesend vor mich hin.
    Die einseitige Wortschlacht ging weiter. Jetzt nicht mehr über die

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