iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
faulen Wilden auf dem nordamerikanischen Kontinent, sondern über die Bayern. Die seien ja auch so eine Art Wilde. Sie standen zwar oben auf dem Fußballtreppchen, aber auf der Landkarte abgebildet lag Bayern immer noch unten.
»Ja, die Deppen aus dem Süden«, sagte der Physiker plump. Für ihn schlug oben offensichtlich immer unten.
»Unten sind sie, stimmts?«
»Wie unten? Tabellenführer, sagte ich doch.«
Der Redefluss des Physikers glich der einer Endlosschleife, aber selbst die versiegte im Laufe des späten Abends. Irgendwann war es mit dem Monolog genug und wir konnten das Wohnmobil verlassen.
Birte und ich inhalierten die frische Abendluft und hielten uns schweigend an den Händen, als wir zu unserem Camper zurückgingen. Nur das leichte Geräusch des tiefen Einatmens durchschnitt die Stille.
»Was war das denn?«, entsprang der erste kleinlaute Gedanke aus meiner Kehle.
»Verblendeter Rotzlöffel«, spottete Birte.
Das Bild meines Hamburger Psychiaters schoss mir ins Gedächtnis. Rasputin hatte ich ihn damals getauft. Das Aussehen meines rothaarigen Arztes ähnelte zwar optisch nicht dem Pinneberger Physiker, aber sie glichen sich trotzdem. Exemplarisch standen sie beide für eine Art von Mensch, dem es egal war, wie sich sein Gegenüber fühlte oder welche Meinung er beziehungsweise sie vertrat. Sie gaben außerdem äußerlich etwas vor, was sie in Wirklichkeit nicht waren. Und das Augenscheinlichste war, dass sie mir persönlich nicht gut taten. Der Kontakt mit ihnen erzeugte ein unangenehmes Gefühl. Bei anderen Leuten mochte das Empfinden unterschiedlich sein, aber ich persönlich fühlte mich unwohl in ihrer Gegenwart. Jeder war mir auf seine Art zutiefst unsympathisch.
Leider ließ sich die Begegnungen mit solchen Unsympathen nicht immer vermeiden, weder im Job noch im Alltag. Warum ging ich aber noch höflich mit ihnen um? Sie taten es doch auch nicht mit mir, ärgerte ich mich kurz.
»Ändere die Situation oder die Einstellung« lautet ein Sprichwort. Im Fall des unsympathischen Physikers wäre ich frei gewesen zu gehen. Die Scheiß-egal-Einstellung – linkes Ohr rein, rechtes wieder raus – wäre auch eine machbare Alternative gewesen. Ich hatte mich aber stattdessen auf das Spiel des Physikers eingelassen und mich aufgerieben, emotional eingebracht und provozieren lassen. Am Ende hatte ich nichts gewonnen, aber mich wieder einmal schlecht gefühlt.
Dabei hielt ich beide Optionen des Sprichwortes in meinen Händen. Nur das richtige Zuordnen und in die Tat umsetzen, das musste ich noch lernen: die Situation zu ändern oder eben doch nur meine persönliche Einstellung.
Ich war es leid, mich an solchen Menschen sinnlos aufzureiben, mir unnötige Gedanken über sie zu machen oder einfach meine Zeit mit ihnen zu verplempern. Sie raubten mir die Kraft und Aufmerksamkeit, die ich brauchte, um mich auf Wesentliches konzentrieren zu können. Außerdem lenkten sie mich von dem ab, was sich tatsächlich lohnte, ausgetragen oder vorangebracht zu werden. In Zukunft wollte ich den Spielraum, in dem sie sich in meinem Leben bewegen durften, mitbestimmen.
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Was für ein Rotzlöffel.
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I ngo hatte seinen ersten Termin beim Psychiater gehabt. Nach seiner Rückkehr erzählte er mir völlig aufgebracht von seinem schrägen Arzt, den er Rasputin getauft hatte, und der seine Beschwerden hauptsächlich medikamentös zu beheben versuchte. Es war auch keine Rede von einer Gesprächstherapie gewesen. Ingo hatte sich in Gegenwart des Arztes unwohl gefühlt, berichtete er aufgebracht und verwirrt. Es schien so, als ging es ihm nach dem Temin noch schlechter als vorher.
Uns beschlich das Gefühl, dass die Wahl eines Psychiaters vielleicht nicht die richtige gewesen war. Wäre ein Psychologe in Ingos Fall der bessere Ansprechpartner für die Behandlung eines Burn-out gewesen? Wir wussten es nicht, kannten noch nicht einmal den Unterschied zwischen den Fachrichtungen. Kopflos war er zum Psychiater gegangen, aber auch nur, weil jemand anderes ihm den Arzt empfohlen hatte. Seine eigene überlegte Wahl war es nicht gewesen.
Ingos Psychiater war nach dem ersten Termin mit Ingo in einen sechswöchigen Urlaub verschwunden und meine Angst kehrte wieder zurück, dass die Situation außer Kontrolle geraten
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