iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
kam es ungläubig im Echo.
Genau dort, dachte ich. Im Westen, wo die Steuerzahler seit Jahrzehnten ihren Soli zahlen, in der einst das Herz der deutschen Textilindustrie schlug und alle ihren markanten SCH-Laut hegen. Und nordrheinwestfälische Wessis durften schon ihr ganzes Leben lang ungehindert reisen und Bananen essen.
Ingo erzählte weiter: »Ich bin offiziell in Mööönschengladbach gemeldet.« Manchmal genoss er seine rheinische Mundart doppelt. »Wir wollten bei unserer langen Reise einen angemeldeten Wohnsitz behalten. Das macht zumindest vieles leichter.«
Das Aufflackern eines freundlichen Entgegenkommens, das sich kurzfristig in ihren Augen gezeigt hatte, erlosch wieder. Daran hatten sie wahrscheinlich noch gar keinen Gedanken verschwendet, dass unsere Tour länger als ihre dauern könnte.
Ingo wendete seine neue Strategie an, »Erzähl den Neidern, was sie garantiert nicht hören wollen«. Seit Monaten probierte er sie nun bereits erfolgreich aus und konnte dadurch neidische Menschen einfach besser ertragen. Also erzählte er von unserer zweieinhalbjährigen Reise durch den amerikanischen Kontinent vom Norden Alaskas bis zum Süden nach Patagonien.
»Ihr habt wohl geerbt oder im Lotto gewonnen«, kam es schnippisch.
»Nö. Auch wenn wir jung sind, wissen wir, was Arbeit bedeutet.« Ingo berichtete außerdem von Wanderungen in großartigen Landschaften, dem Skifahren in den Bergen und einigen anderen Erfahrungen. Er zeigte auch auf den Cotopaxi und sagte nur: »Von dem Gipfel bin ich auch schon Ski gefahren.« Dabei funkelte er sie voller Begeisterung an, wobei sein neu gewachsenes Ziegenbärtchen am Kinn fröhlich auf und ab hüpfte.
»Wenn man es sich leisten kann«, schoss eine andere Frau quer. Eine typische In-den-Raumrednerin, die nie Stellung bezog, aber trotzdem etwas unverbindlich sagen wollte. Sie tat gerade so, als würde sie mir persönlich die Reise und den Camper verübeln, aber könnte mit dem Satz ihr Minderwertigkeitsgefühl aufwerten.
»Schön ist so eine lange Reise bestimmt«, schob sie noch kleinlaut, aber patzig nach.
Diese Gefühlsregung klang noch nicht wie das überschwängliche US-amerikanische »good for you«. Aber für diese Deutsche glich die Äußerung schon einer gewaltigen Gefühlseruption, hatte ich zumindest den Eindruck. Die Nähe des aktiven Vulkans wirkte wohl ansteckend.
Einige wandten sich bereits lautlos zum Gehen ab und steuerten die Gästehütte an, den Ort ihrer Mittagspause. Sie verließen uns nicht in fröhlicher Urlaubslaune, sondern wirkten verspannt.
Ich fragte mich wieder, warum sie uns das, was sie offensichtlich sahen, nicht gönnten und sogar neidisch darauf wirkten? Hielten wir ihnen unbeabsichtigt einen Spiegel vor, der zeigte, was sie nicht hatten oder machten? Was sie in ihrem Leben nicht mehr erleben konnten, zumindest nicht in jungen Jahren?
Das neidvolle Gefühl, das sie mir entgegenbrachten, zog mich jedoch nicht mehr herunter. Es berührte mich kaum noch, wenn schnippische Äußerungen kamen. Das Gefühl der Reise und unseren Entschluss so zu leben, wie wir es gerade taten, hatte sich als ein Teil von mir verfestigt. Ich stand hundertprozentig zu dem, was ich machte und was ich war. Die Phase des wankenden und unsicheren Gefühls war lange vorbei.
»Ihr macht es richtig«, sagte eine Frau und duzte uns, wie es Reisende normalerweise immer taten. Mit diesem Zuspruch desertierte sie mutig von ihrer Truppe. »Wir fühlen uns zwar noch rüstig, aber ehrlich gesagt sind wir für diese Tour zu alt. Es ist jetzt ein anderes Reisen oder Erleben. Der Körper spielt einfach nicht mehr so mit wie in jungen Jahren.« Sie lächelte uns an. Um ihre Worte zu unterstreichen, fasste sie sich lachend an den Rücken, den sie leicht nach vorne krümmte. Sie sagte das neidlos und mit einem interessierten wachen Blick, der auch nach stundenlanger Busfahrt und vielen Lebensjahren auf dem Buckel zu uns durchdrang.
Der Ehemann der freundlichen Frau fügte schmunzelnd hinzu: »Wir pfeifen schon beim bloßen Busfahren in den Anden aus allen Löchern. Dafür müssen wir uns nicht mal mehr bewegen. Mein üppiges Hotelfrühstück liegt noch lauwarm auf dem staubigen Parkplatz in viertausendsechshundert Meter Höhe.« Er lachte dabei.
»Ja, ja«, lächelte ich ihn zurück an. »Die Schlankheitskur der Höhenkrankheit gibt es in den Anden gratis, auch ohne Bewegung.«
Sie hatten nur eine kurze Mittagspause in der kleinen Hütte, bis sie zur nächsten
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