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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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wiederum über die Jacke um die Taille gewickelt war. Mit dieser Ausrüstung unterschieden wir uns von vielen Arbeitern, die immer noch mit Karbidlampen arbeiteten. Zum Schluss erhielt jeder noch ein Paar hohe Gummistiefel. Die zogen wir uns an, nachdem jede Socke mit einer knisternden Plastiktüte eingehüllt worden war. Die Sohlen der Stiefel waren eiskalt und ließen mich nicht nur deswegen frösteln.
    Die anderen Teilnehmer kicherten laut durcheinander, als sie sich gegenseitig in ihrer unförmigen Schutzkleidung ansahen. Sie zerrten verlegen an sich herum. Unsere Gruppe bestand aus Spaniern, Koreanern und US-Amerikanern. Allerdings waren alle viele Jahre jünger als wir und verkörperten die neue Touristengeneration auf der Suche nach realem Abenteuer mit Kreditkarten der Eltern in der Tasche.
    Angekleidet stiegen wir wieder in unseren wartenden Kleinbus. Nach kurzer Fahrt durch die Stadt hielt der Fahrer am Randstein des »Plaza el minero« an, dem Platz des Minenarbeiters. Dort konnten wir Geschenke für die Arbeiter einkaufen.
    Einige Männer standen an den kleinen Verkaufsbuden und kauften das ein, was sie selbst für die tägliche Arbeit benutzten: grobe Dynamitstangen und Zündschnüre ebenso wie selbstgedrehte Zigaretten aus Zeitungspapier ohne Filter. Eine Frau verkaufte gerade einem Arbeiter eine Tüte voll Kokablätter. Während er mit ihr sprach, zupfte er mit den Schneidezähnen das Blattgrün vom harten Stiel ab. Er kaute ein wenig darauf herum, um danach den Brei wie ein Hamster in der Wange zu verstauen. Ein wenig Asche wurde hinterher geschoben, damit das Koka auch seine Wirkung entfalten konnte. Es half gegen Müdigkeit, Hunger, Erschöpfung, Kälte und dünner Höhenluft. Er wiederholte diese Prozedur, bis seine Wange prall gefüllt war. »Mama Coca« nannten die Einheimischen die Kokapflanze. Sie war seit Jahrhunderten auf diesem Kontinent ihr Heil- und Kultmittel. Koka war zu allererst ein Stück Andenkultur und viel mehr als nur die Pflanze, aus der für reiche Abnehmer Kokain produziert werden konnte. Einst maßen die Inkas die Entfernungen der Wegstrecken in Kokalängen, also in der Zeit, in der die Wirkung des Kokas nachließ und neue Blätter gekaut werden mussten.
    Ein anderer Minenarbeiter in Arbeitskleidung hielt einer Verkäuferin einen zerknitterten Geldschein hin und ließ die Plastikflasche mit sechsundneunzigprozentigem Alkohol in seiner Brusttasche verschwinden.
    Wir fragten nach, was er mit dem Hochprozentigem machen würde. Der Alkohol war nicht für die Scheibenwischanlage eines Autos gedacht und auch nicht, um hartnäckige Klebereste zu entfernen. Die hochprozentige Flüssigkeit wurde in den Minen getrunken, um sich für die Dauer unter Tage zu betäuben. Die Bergarbeiter wollten in der dunklen, staubigen Enge berauscht sein.
    Ingo und ich kauften Arbeitshandschuhe und Kokablätter als Geschenke für die »mineros« ein, zu deren Minenschacht wir danach weiterfuhren. Uns erschien es abwegig Dynamitstangen in den Hosentaschen zu tragen. Wir wunderten uns aber über die Selbstverständlichkeit, mit der wir sie hätten kaufen können.
    In den schmalen Gassen zwischen den engstehenden Häusern verschwand zuerst das Kopfsteinpflaster und dann jegliche Wegbefestigung. Wir fuhren auf den Cerro Rico zu. Die perfekt geformte Pyramide des Berges schimmerte in unterschiedlichen Braun- und Rottönen. An seinen Flanken zogen sich größere Wege, aber auch schmale Fußpfade entlang, wie die hervortretenden Adern einer muskulösen Hand. Hinter diesen pulsierenden Adern war der gesamte Berg über Jahrhunderte vollständig ausgehöhlt und mit Gängen durchzogen worden.
    Über enge Schotterpisten schraubte sich der Kleinbus am Silberberg hoch und hüpfte von Schlagloch zu Schlagloch. Wir parkten auf dem Vorplatz einer der unzähligen Minen. Ein älterer Vorarbeiter dieser Kooperative arbeitete nicht im Berg, sondern bewachte draußen die Anlage. Er begrüßte Maria und uns. Ich konnte sein Alter nicht einschätzen. Die körperlich harte und staubige Minenarbeit ließ die Menschen in jungen Jahren bereits wie Greise aussehen. Er war aber auf jeden Fall älter als ich und hatte damit das Alter, in dem die meisten Minenarbeiter starben, überschritten.
    Die Sonne schien, aber ein eisiger Wind pfiff hier oben auf dem Berg. Für die wärmende Mittagssonne war es noch zu früh. Wartend standen wir vor dem gemauerten Mineneingang und blickten schaudernd in die Dunkelheit. Ein lautes Rumpeln zog

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