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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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unsere Aufmerksamkeit an. Das dumpfe metallische Geräusch kam aus der Mine. Plötzlich schoss aus der Dunkelheit des Loches eine voll beladene Lure aus Metall, die von zwei jungen Männern geschoben wurde. Die Körper der Arbeiter waren von einer feinen zementgrauen Staubschicht überzogen. Auf der Oberfläche ihrer Helme und an den Gummistiefeln hatte sich der Staub mit Wasser zu einer steinharten Masse verbunden.
    Spätestens jetzt lachte keiner aus unserer Gruppe mehr über seine unpassende Schutzkleidung. Die Realität verdrängte das Abenteuer. Das billige Urlaubsland wurde zum realen Entwicklungsland.
    Einer der Männer hinkte leicht, als er den tonnenschweren Metallwagen die letzten Meter bis ans Ende der Schienen schob. Er lächelte mich trotzdem freundlich an. Dabei verbarg er auch nicht die Zahnfront, die im oberen rechten Kiefer fehlte. Ein dunkles Loch hielt als Nachbar zu seinen restlichen Zähnen her. Bis zu fünfzehn Kilometer mussten ihn seine einfachen Gummistiefel an diesem Tag durch die Minenschächte tragen, so beschrieb er uns seine Arbeit.
    Unsere Führerin Maria steckte sich, während sie mit ihm redete, Kokablätter in ihre Wange. Sie war als Kind von Minenarbeitern aufgewachsen, erzählte sie uns. Alle in ihrer Familie, ihrer Verwandten und Freunde teilten das gleiche Schicksal in einer der vielen Minen.
    Mit einem schnellen Handgriff schaltete Maria ihre Helmlampe ein, rief ein »vamonos, let’s go« und marschierte los. Mit energischem Schritt verschwand sie bereits im dunklen Schacht. Das Dröhnen eines riesigen Generators verfolgte uns auf den ersten Metern in den Berg. Nach kurzem Weg verschwand der Krach und die pechschwarze Dunkelheit verschluckte uns. Nur die Stirnlampen an unseren Helmen leuchteten kleine Lichtpunkte auf den unwegsamen Fußweg, der mit tiefen Schlammpfützen gespickt war. Eine andere Lichtquelle gab es nicht. Ebenso wenig wie es tragende Holzbalken gab, wo das abgeschlagene Gestein aus dem Berg abtransportiert worden war. Die Schächte mussten ohne Stützen halten und ohne kostspielige Hilfsmittel stabil bleiben.
    Die Gänge wurden enger und wirrer, je tiefer wir in den Berg und seine labyrinthischen Verzweigungen vordrangen. Unsere Begleiterin Maria ging zielstrebig voraus, nahm Abzweigungen und kletterte Holzleitern herunter.
    »Warum kennst du dich so gut in dieser Mine aus?«, fragte ich sie leise.
    Sie blieb stehen und leuchtete mir mit der Lampe ins Gesicht. »Meine Eltern haben hier gearbeitet und sind in dieser Mine gestorben. Und mein Mann hat sich in dieser Mine mit hochprozentigem Schnaps tot gesoffen.« Ihr Gesicht blieb regungslos, bis sie sich umdrehte und weiterging. Mir war schon vorher der goldene Ehering an ihrem Finger aufgefallen.
    Wir krochen teilweise auf allen Vieren oder rutschten auf unseren Hintern mit Lehm verkrustete Holzleitern hinunter und kletterten andere wieder herauf. Einige morsche Sprossen waren durchgebrochen und hingen nur noch an einzelnen rostigen Nägeln herunter. Ich wischte mir meine verschmierten Hände immer wieder an der Jacke ab, um den festen Halt nicht zu verlieren. Ich drehte meinen Kopf leicht, so dass die Lampe den gesamten Verlauf des Schachts erhellte. Neben meinen Füßen sah ich ein tiefes Loch, das wie eine provisorische Rampe ins Bodenlose fiel. Ich hatte es noch rechtzeitig erkannt.
    Ingo und ich hefteten uns dichter an Marias Fersen und ließen eine Lücke zu den anderen entstehen. Zwei aus der Gruppe füllten hinter uns die Gänge mit ihren Körperumfängen vollständig aus. Wenn eine morsche Sprosse der Leiter unter dem Gewicht brechen sollte, dann wollten wir nicht da drunter sein.

Unsere vorherige Vermutung mit der geführten Tour nur durch halbwegs sichere Stollen geführt zu werden, erschien uns nun naiv. Aber wer waren wir, dass wir das auch nur ansatzweise beurteilen konnten? Was bedeutete denn für bolivianische Verhältnisse ein sicherer Zustand?
    Es kam Maria nicht ins Bewusstsein, dass dieser Weg zu schwierig für verwöhnte ausländische Touristen sein könnte, sie sich sogar verletzen könnten. Denn dies war ihr Alltag, in dem jeder auf sich selbst aufpassen musste. Jeder einzelne trug die eigene Verantwortung und musste auf sich Acht geben: Sie, ihre Familie, die Freunde und Verwandten, jeden Tag. Zehntausend von ihnen.
    Wir hatten im Gegensatz zu ihnen selbst die Wahl getroffen, für wenige Stunden hierher zu kommen. Die Arbeiter hatten keine.
    Explosionen erschütterten den Berg, die sich

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