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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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Stunden in den Schächten zeigte Maria uns zum Abschluss »el tio de la mina«, den Onkel der Mine. Jede besaß ihren eigenen Schutzgott. In einer kleinen Höhle stand eine rot angemalte Gipsfigur mit schwarzen Hörnern auf einer Art Altar. Bunte Luftschlangen hingen an ihr herunter. Aus der diabolischen Figur ragte ein überdimensionaler Penis erigiert hervor. Eine Zigarette glomm grotesk in der Fratze. Die Hässlichkeit mit den stahlblauen Augen sah für mich abstoßend und beängstigend aus.
    Maria erzählte uns, dass die Arbeiter der Mine täglich diese Figur mit Geschenken wie Kokablätter oder Zigaretten besänftigten. Sie taten dies, um sich selbst zu schützen und den Tio zu bewegen, die kostbaren Erze frei zu geben.
    Wir hatten im Vorfeld erfahren, dass viele der Minenarbeiter den Ursprung ihres Tio gar nicht mehr kannten: Die Spanier und die katholische Kirche hatten den Einheimischen nach der Eroberung mit ihrem Gott gedroht, auf Spanisch »dio«. Da es in der Quechua-Sprache der Einheimischen kein Buchstaben D gab, wurde aus »dio« dann »tio«, aus Gott der Onkel. Ihr Symbol aus der Kolonialzeit vereinte damit den Schutzgedanken mit Furcht und Einschüchterung.
    Maria zündete eine weitere Zigarette als Geschenk für den Tio an. Die kleine Höhle füllte sich mit noch mehr Qualm und nahm die restliche Luft zum Atmen. Einige der Gruppe drehten sich hustend ab.
    Ich war froh, als wir den bedrohlich wirkenden Schutzgott verließen und zum Ausgang zurückgingen. Mit jedem Schritt wurde die Luft klarer und reiner. Der Druck auf der Brust und das beklemmende Gefühl verschwanden allmählich.
    Als wir am Ende des Schachts in das Tageslicht traten, schneite es. Der Wind schnitt eisig kalt in die Haut, meine Augen blinzelten von der Helligkeit und ich atmete zwei tiefe Züge nacheinander ein. Selten hatte sich frische Luft in meinen Lungen so gut angefühlt. Als ich meine Nase ins weiße Taschentuch putzte, klebte dunkler, staubiger Rotz darin, obwohl ich mich nur kurz in der Mine aufgehalten hatte.
    Die getauten Schneeflocken bildeten graue Schlammpfützen vor den Baracken der Arbeiter. Ein Mann stand mit nacktem Oberkörper an einem Waschtrog und wusch sich mit eiskaltem Wasser den groben Schmutz von der Haut. Der Staub in seinem Körper blieb dort, wo er sich todbringend festsetzen würde.
    Die Tür einer Baracke öffnete sich und junge Männer in Jeanshosen und Sweatshirts kamen laut lachend heraus. Sie schienen Feierabend zu haben und hatten sich außerhalb der Minen zu anderen Menschen verwandelten. Sie wirkten nun ihrem Alter entsprechend unbeschwert und fröhlich.
    Nein, dachte ich traurig, sie sind nicht wie wir, auch wenn sie sich in ihrer Kleidung kaum von uns unterschieden. Ich stand wie angewurzelt da, inmitten dieser Ungerechtigkeit des Lebens. Weiße Schneeflocken wirbelten um mich herum. Eine warme Träne lief durch den kalten Wind an meiner Wange herunter. Stundenlang hatte sie mit dem Kloß im Hals auf diesen Moment gelauert. Nun floss sie. Ich wischte sie schnell weg.
     
    Alles, was Ingo und mich in unserer Heimat vor der Abreise beschäftigt hatte, kam mir nun so unbedeutend vor. In dem Moment in der Umgebung der Mine hätte ich Ingos Burn-out als harmlose Luxuskrankheit bezeichnet. Aber das war falsch, das wusste ich.
    Zum damaligen Zeitpunkt hätte es nichts genutzt, sich an schlimmere Schicksale zu erinnern oder sich am Leidensgrad anderer zu messen. Das hätte unsere Situation, aber auch unsere Sichtweise, nicht verändert. Wir steckten mittendrin, im Einzelschicksal.
    Erst mit dem Abstand zum Burn-out, zum deutschen Wohlstandsleben und vor allem zu uns selbst eröffnete sich uns eine neue Sicht und eine Logik, die uns zuvor verschlossen war. Unser Bewusstsein wurde erst durch Distanz und einschneidende Erlebnisse geschärft.
    Wir erlangten wieder Aufmerksamkeit für Dinge, die wir durch ihre ständige Präsenz im privilegierten Deutschland nicht mehr wertgeschätzt und stattdessen für selbstverständlich hingenommen hatten. Auch die eigene Gesundheit gehörte dazu.
    In unserer deutschen Heimat schien immer alles möglich zu sein. Was man nicht selbst schaffte, erledigten hoffentlich andere oder die Solidargemeinschaft für einen.
    Unsere Erwartungen und Ansprüche hatten sich in die Höhe geschraubt. Langsam bewegten wir diese auf ein realistisches und gesundes Niveau zurück. Wir sahen vieles nun klarer und manches verschob sich damit in unseren queren Wohlstandsköpfen wieder an die

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